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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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den Fuß verstaucht, dass er in den nächsten vier Wochen überhaupt nicht auftreten darf. Er läuft entweder auf Krücken oder liegt – meistens – auf der Couch, der Arme. Noch dazu habe ich drei neue Patienten, die unmöglich fünf Wochen lang auf ihre Therapie verzichten können. Wirklich schwere Fälle. Man müsste das Schlimmste befürchten, ließe ich sie jetzt allein. Du siehst, ich bin mehr als eingespannt, und Du kannst mir glauben, dass mir das gar nicht passt. Ich hatte mich schon sehr auf lustige und erholsame Wochen …«
    Hier stockte Helene – »bei Dir«? »mit Dir«? Die Antwort war teuer. Sie hatte sich auf Olaf gefreut, mit oder ohne Bodensee, auf sein Schlafzimmertrampolin, auf sein Gesicht, seine Witze. Auf ihn als Mann. Auf Sonnenuntergänge und Rotwein, mit ihm, nicht bei ihm. Und nun? Wie diesen Brief beschließen? Hätte Olaf doch wenigstens eine winzige Andeutung gemacht, als was er sie erwartete. Als nette alte Kollegin? Hatte er gerade kein Mädchen zur Hand, das ihm seinen Sommer versüßte, und wollte aus der Not eine Tugend machen, indem er sie einlud, um mit ihr über Berufliches zu reden? Schlimm hätte sie das nicht gefunden, wenn von Anfang an nichts anderes im Raum gestanden hätte. Sie hättesich einfach ihre Kinder geschnappt und wäre Richtung Süden gefahren – entfesselt, frei und mit Haaren an den Beinen einem langen Urlaub entgegen. Aber nun war es zu etwas anderem geworden, zu einem Problem nämlich.
    Welcher Blick, welches Wort, welche Geste hatten sie nur dazu verleitet, alle Zeichen auf Sturm zu stellen und sich einer selbstverleugnerischen Quasi-Garbo-Prozedur zu unterziehen, die aus ihr einen mehr oder weniger weiblichen Quasimodo gemacht hatte?
    »… am Bodensee gefreut. Wir sehen uns ja hoffentlich auf dem Kongress im Oktober? Bis dahin sei herzlich gegrüßt von Helene, Moritz und Fabian.«
    Wie klein von ihr, dachte sie, ihre unschuldigen Kinder in absentia mitgrüßen zu lassen.
    Es war elf Uhr durch, die Kinder schliefen seit zwei Stunden, als Helene sich auf den Weg zur Post machte. Der Briefkasten wurde noch einmal um Mitternacht geleert, und so würde Olaf vielleicht morgen schon lesen, was sie ihm notvorgelogen hatte. Je eher, desto besser. Die Nacht war warm, immer noch lag die Temperatur bei gut 26 Grad. Die hautfreundliche Luft roch nach einem Gemisch aus Rosen, Hundehaufen und dem frischen Putz, der der Vergänglichkeit der barocken Pracht seit zweihundertfünfzig Jahren unermüdlich entgegengesetzt wurde, und ließ »Lass waxxen« praktisch vergessen. Bewusst und möglichst gleichgültig an ihren morgigen Tagesplan denkend, ließ sie den Brief in den gelben Kasten gleiten.
    Helene atmete lang aus und entschied zum ersten Mal seit Beginn ihrer Mutterschaft, es sei wohl nicht so schlimm, die Jungs noch ein Stündchen allein zu Haus zu lassen. Sie könnte bei Hassan hineinschauen und sich Falafel im Brot bestellen. Obwohl sie längst gegessen hatte, Falafel nicht mochteund auch nicht wusste, wie sie diesen ungewöhnlichen Abstecher rechtfertigen sollte. Und Hassan würde danach fragen. Also schlenderte sie ohne Ziel durch die gefälligen Straßen.
    Es war Mitternacht, die Kirchturmuhr tat es kund. Jetzt ging der Brief auf Reisen. Frei wie ein Vogel war sie. Wie ein Vogel Strauß, den Kopf im Sand und flugunfähig. Sie ging im Geiste die letzten elf Jahre durch und kam auf keine einzige Nacht, die sie nicht zu Hause verbracht hatte – von Familienurlauben und einigen berufsbedingten Aushäusigkeiten einmal abgesehen. Immer hatten Herrmann und sie die Kinder bei sich gehabt, wenn sie irgendwo eingeladen gewesen waren, und selbstverständlich vor Mitternacht den Heimweg angetreten. Sie zumindest. Herrmann war oft noch geblieben und erst im Morgengrauen zurückgekehrt, denn je später der Abend … jaja.
    Weiß der Kuckuck, wie viele Frauen es waren, die ihren Ehemann ohne Plüschtier und heißen Kakao zur Nacht hatten erleben dürfen, während sie zu Hause den Schlaf der Kinder bewacht und für Herrmann noch eine Thermoskanne befüllt hatte. Es schüttelte Helene bei dem Gedanken an heißen Kakao. Wie viele mögen es gewesen sein, deren Spitzen-BHs er bewundert und mit den Zähnen geöffnet hatte? Und wieso hatte sie sich eigentlich nie dafür ins Zeug gelegt, selbst diejenige zu sein, die vergöttert und begeistert umgarnt wurde? Wie hatte sie bloß verkennen können, welche Rolle sie in Herrmanns Leben von Anfang an eingenommen hatte? Mein Gott, sie

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