Rosenpsychosen
wieder als Tochter in sein Leben aufzunehmen. Vernünftig und versöhnlich mit ihm reden, ihn fragen, wie es ihm gehe, ob sie etwas für ihn tun könne. Ihr Atem ging schnell, als sie die Nummer wählte. Es war besetzt. Na, dann. Da konnte man nichts machen. Morgen, morgen würde sie es wieder versuchen. Nein, übermorgen, denn morgen hatte sie vielleicht zu viel zu tun.
16
Helene hat Angst vor ihrer Libido und schreibt einen anredelosen Brief an das Objekt ihrer Begierde, welcher sie
nachts auf die Straße treibt
»Lieber Olaf«. Nein, urteilte Helene, das klingt wie Poesiealbum. »Mein lieber Olaf«. Zu intim. Vielleicht sogar antiquiert. »Liebe Helene« hatte Olaf auf seine Postkarte vom Bodensee geschrieben, also warum nicht »Lieber Olaf«? Andererseits schrieb sich »Liebe Helene« wesentlich flüssiger und viel natürlicher als »Lieber Olaf«. Hieße Olaf Pierre, so wie Michel Piccoli in diesem schönen Film mit Romy Schneider, dann wäre es etwas anderes. Dann könnte man das Wort »Lieber« sogar ganz weglassen. Alles, was man mit einer Anrede sagen konnte, wäre bereits enthalten, wenn Olaf Pierre hieße. Bei dem bloßen Gedanken an »Pierre« wurde einem schon ganz warm. Aber »Olaf«? Die Falafelbude um die Ecke und der Libanese hinter der Theke kamen ihr in den Sinn.
Ein deutlicher Vorteil Olafs gegenüber Pierre war aber doch, dass Olaf nicht verheiratet war, sie eingeladen hatte und, ganz entscheidend, noch lebte. Ein weiterer Nachteil, neben der Sache mit dem Namen, dass Helenes Herz lediglich ein bisschen in ihrem Hals klopfte, wenn sie sich die Wochen mit Olaf vorstellte. Es raste nicht – vielmehr nahm sie etwas wahr, das sie fast schon vergessen hatte, etwas rein Körperliches nämlich, wenn sie mutig und ehrlich genug war, sich das einzugestehen. Aber das reichte nicht. Ein bisschen Liebe war so gut wie keine.
Woche für Woche predigte sie, man solle Gefühle nicht heucheln, sich erfühlen – wirklich, ein blödsinniges Wort – und danach handeln, sah aber selbst einem schnöden Lustsommerurlaub entgegen. Das, liebe Helene, dachte sie, tut man nicht. Obendrein war sie seit heute Morgen – seit sie die Resultate ihres Besuches im »Lass waxxen« schmerzhaft deutlich bemerkt hatte – überzeugt, überhaupt nicht an den Bodensee und eigentlich rein gar nichts von Olaf zu wollen. Liebte sie ihn tatsächlich – und das wäre ja wohl die Voraussetzung dafür, fünf Sommerwochen mit ihm zu verbringen –, dann müsste sie doch bei dem Gedanken an ihn innerlich verbrennen, anstatt an Falafel zu denken. Ja, Herzstatt Körperrasen müsste sie empfinden, lodern müsste es.
Tat es aber nicht. Olaf war aufrichtig und hatte Aufrichtigkeit verdient. Vielleicht ersehnte Olaf sich viel mehr, als Helene zu geben bereit war. Dann wäre es unehrlich und ordinär, ihn fünf Wochen lang wie eine Kuh zu melken. Wenn es ihm dagegen lediglich um die Fortsetzung einer alten Kollegenfreundschaft ging, wäre alles gut. Die Pickel in ihrer Bikinizone würden ihn nicht die Bohne interessieren. Herrlich entspannt wäre das. Und verflucht enttäuschend. Nach dem ganzen Affentheater der letzten Tage wäre ein rein freundschaftliches Verhältnis nicht zu ertragen. In einem solchen Fall bliebe ihr nur, so zu tun, als habe sie ganz und gar nichts anderes erwartet, geschweige denn gehofft, und wochenlang eine kollegiale bis freundschaftliche Miene aufzusetzen. Olaf würde ihr von seiner neuen Freundin, die gerade fünf Wochen beruflich in New York oder Shanghai war, erzählen. Für eine Mode- oder Kosmetikfirma. Oder als Champagnervertreterin. Nein, diese Schmach würde sie sich ersparen. Und überhaupt: Olaf wohnte weit weg. Was sollte sie letztendlich mit ihm? So toll war er nun auch wieder nicht.
Helene beschloss, zunächst den Text zu schreiben und sichanschließend noch einmal Gedanken über die Anrede zu machen.
»… es tut mir sehr leid, dass ich es nicht möglich machen kann, Dich mit den Jungs zu besuchen. So gern ich es würde! Ich weiß, ich hatte schon so gut wie zugesagt, aber meistens kommt es anders, als man denkt. Es ist wirklich wie verhext. Moritz müssen in drei Wochen die Mandeln entfernt werden. Es ist einfach zu arg mit seinen ständigen Anginen – gerade kämpft er wieder mit einer –, und nun haben wir ausgerechnet diesen Termin bekommen, den wir wahrnehmen müssen, da der nächste im September läge. Das ist aber längst nicht alles: Fabian hat sich beim Fußballspielen so unglücklich
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