Rosenrot ist mausetot - Kriminalroman
über siebzig Menschen töteten. Selbst die grammatikalische Schludrigkeit, dass jener Ort Ramstein mit einem m heisst, der Bandname aber zwei ms enthält, störte Adelina damals nicht. Im Gegenteil. Sie fand sie und den Umstand, dass offenblieb, ob bei diesem Versehen simple Blödheit oder abgebrühtes Kalkül dahinterstand, schlichtweg genial.
Ein ähnlich fasziniertes Prickeln empfand Adelina damals angesichts der vor allem in den Anfangszeiten von Rammstein erhobenen Vorwürfe, die Band vertrete rechtsextremes Gedankengut. Mehrdeutige Texte, eine brachiale Musik und die Verwendung von Nazi-Symbolen in Videos nährten solche Urteile. Später, erzählte Adelina weiter, als sie Rammstein längst nicht mehr bewunderte, aber immer noch verfolgte, habe die Gruppe für sie glaubhaft versichern können, sie sei gegen Rechtsextremismus. Selbst der Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen habe ihr 2005 einen Persilschein ausgestellt und bescheinigt, Rammstein sei nicht als rechtsextremistisch einzustufen.
Nach ihrer heutigen Einschätzung, so Adelina, hätten die Jungs damals einfach um jeden Preis auffallen wollen. Das einfachste Mittel dazu sei nach wie vor Provokation, und womit könne man in Deutschland besser provozieren als mit angeblicher Nazi-Nähe? Ein solches Kalkül sei zwar mindestens geschmacklos, wenn nicht mehr, doch es habe funktioniert, wie man sehe.
Ich fragte Adelina nach einem typischen Beispiel für die Bildsprache von Rammstein, und sie meinte, ich würde mir am besten gleich das Video zum Song «Rosenrot» ansehen. Ich war entsetzt. Sich geisselnde Mönche und blutiger Mord und Totschlag – nein, das brauchte ich wirklich nicht. Als unappetitlich und abstossend empfand ich diese Bilder. Beinahe hätten sie mir den Spass am gehörten Song verdorben. Erst der feste Entschluss, mir dieses Video nie wieder anzusehen, und ein nochmaliges Anhören der reinen Akustikversion versöhnten mich wieder mit «Rosenrot».
Adelina wunderte sich nicht über meine Reaktion. Ihr ging es mittlerweile ähnlich, wie sie erklärte. Umso mehr wunderte sie sich darüber, dass Graziella Rosengarten ausgerechnet die rohe Musik von Rammstein gehört hatte, sie, die feine Ästhetin. Und dass sie nicht abgestossen worden war vom nicht unverschuldeten zweifelhaften bräunlichen Ruf der Band, sie mit ihrer jüdischen Herkunft.
Vielleicht, vermutete ich, war es ihr ja wie mir ergangen, und sie war nur auf diesen einen Song gestossen, ohne sich um den Rest zu kümmern. Adelina hielt das für möglich, aber nicht für wahrscheinlich. Nach allem, was sie über Graziella Rosengarten wisse, sei diese eine kluge, reflektierte und wissbegierige Frau gewesen, die sicher sofort nach Hintergründen geforscht hätte, wenn sie auf einen Song wie «Rosenrot» getroffen sei.
Eine gewisse Nähe von Rosenrot zum Namen der Band könne sie, Adelina, ja noch verstehen, schliesslich habe es eine Gartengestalterin oft mit Steinen zu tun. Aber mit einem Ramm-Stein eher nicht. Ein solcher zerstört nur, bringt Tod und Verderben. Eine Gärtnerin jedoch hat es mit Leben, mit Wachstum, mit Gestaltung zu tun. Nein, das ergebe alles keinen Sinn.
Adelina verstummte. Hinter ihrer Stirn arbeitete es deutlich sichtbar. Dann griff sie unvermutet zum iPad, tippte darauf herum und murmelte etwas, das wie «wusst ich’s doch!» klang. Ich muss etwas verdutzt aus der Wäsche geguckt haben, denn sie entschuldigte sich sofort für ihre Geistesabwesenheit und zeigte mir, was sie gefunden hatte.
Irgendwie, erklärte Adelina, habe sie immer gewusst, den Namen Rosengarten schon in einem anderen Zusammenhang gehört zu haben. Jetzt endlich sei ihr eingefallen, wo. Durch unser Gespräch über die rechtsextremistische Aura von Rammstein war sie an ihre Jugend erinnert worden. Damals hatte sie nach der Phase des Flirts mit den Nazi-Symbolen und der Anhimmelei von Rammstein eine radikale Kehrtwende vollzogen, wie es in diesem Alter nicht unüblich ist. Vermutlich auch aus Scham über ihre vorangegangene Geschmacksverstauchung begann sie, sich politisch gegen Rechts zu engagieren.
Den Kampf gegen die menschenverachtende Ideologie der Neonazis hatte sie eine Zeit lang mit grossem Einsatz geführt, ehe auch diese Flamme erlosch. Sie teile, teilte sie mir mit, natürlich immer noch die Ziele von damals, nur den Glauben an die gewählte Form des Kampfs habe sie mittlerweile verloren. Noch immer verfolge sie im Internet, was sich auf diesem Gebiet tut.
Dabei sei
Weitere Kostenlose Bücher