Rosenrot ist mausetot - Kriminalroman
ihr vor einiger Zeit ein ebenso kluger wie engagierter Artikel einer gewissen Frau Rosengarten aufgefallen. Und sie habe ihn nun wiedergefunden. Ich las den Artikel auf dem Bildschirm und konnte Adelina nur beipflichten. Da nahm jemand sehr klar und überzeugend Stellung gegen das Wiederaufblühen des Nazi-Sumpfs und gegen alle Tendenzen, diese Entwicklung zu verharmlosen, und scheute sich dabei nicht, Ross und Reiter zu nennen. Auch nicht ihren eigenen Namen: Graziella Rosengarten.
Adelina und ich waren uns einig, dass ein solcher Artikel bei den Angesprochenen heftige Reaktionen auslösen musste. Aus ihrer antifaschistischen Zeit wusste sie, wie man in die geheimen Netz-Treffpunkte der rechten Szene reinkommt, und war schon dabei, nach diesen Reaktionen zu suchen.
Ich nutzte die Gelegenheit, um einem eigenen Einfall nachzugehen. In meinem Büchergestell fand ich rasch die vor einigen Wochen erworbene Autobiografie von Graziella Rosengarten. Darin fand sich tatsächlich ein Kapitel, in dem sie ihr Engagement gegen alle rechtsextremistischen Tendenzen beschreibt. Ich überflog es kurz. Sein Inhalt bestätigte, dass sich Graziella Rosengarten als engagierte Kämpferin profiliert hatte. Und damit sicher auch exponiert.
Adelina hatte mittlerweile diesen Verdacht bestätigt gefunden. In den einschlägigen Foren gab es wüste Beschimpfungen, deren Inhalt und Form auch dem wohlwollendsten Betrachter klarmachen mussten, dass es sich bei den Verfassern um brutale Dumpfbacken auf tiefstem Niveau handeln musste. Und bei den Beschimpfungen an die Adresse von Graziella Rosengarten war es nicht geblieben, es wurde ihr auch unverhohlen mit den schlimmsten Dingen gedroht, bis hin zur Warnung, man werde sie bei nächster Gelegenheit um die Ecke bringen. Hatte also jemand aus dieser Schmuddelecke seine Drohung wahr gemacht?
Ich schalt mich selbst einen Narren, weil ich nicht früher auf diesen Gedanken gekommen war. Ich hatte, wie ich Adelina jetzt beschämt gestehen musste, bei meiner damaligen Lektüre ihrer Autobiografie das Kapitel übersprungen und seine Existenz glatt vergessen. Adelina wollte die Gründe für dieses Verhalten wissen. Ich konnte ihr nicht mehr sagen, als dass ich manchmal einfach keine Lust habe, mich mit einem so unerfreulichen Thema wie Nazis und Neonazis zu beschäftigen, schon gar nicht in einem Buch, das sich ansonsten mit so erfreulichen Themen wie Gärten befasst.
Natürlich hätte ich, fügte ich an, wegen dieser Verweigerungshaltung ein schlechtes Gewissen, was das Verdrängen des ominösen Kapitels erklären würde. Ein guter Mensch muss sich gerade diesem Thema stellen und darf ihm nicht ausweichen. Das sehe ich ein, nur wird es mir manchmal zu viel, immer ein guter Mensch zu sein. Dazu kommt die Gnade des richtigen Geburtsorts. Wäre ich ein paar Kilometer weiter nördlich in Deutschland geboren, sähe die Sache für mich anders aus, das kann ich mir gut vorstellen.
Adelina nickte. Sie, die in Polen geboren und später in die Schweiz gekommen war, hatte noch den Blick von aussen, dem Dinge auffallen, die für Einheimische so selbstverständlich sind, dass man sie gar nicht mehr wahrnimmt. Passend zum Thema nannte Adelina die Bezeichnung für die Schweizer Fussball-Nationalmannschaft: Mit ihrem Drang zu Abkürzungen nennen die Schweizerinnen und Schweizer diese die «Nati», was ausgesprochen eher wie «Nazi» klingt und jeden Deutschen unweigerlich zusammenzucken lässt, wenn er es zum ersten Mal hört.
Wir waren etwas vom Thema abgekommen, wenn auch nicht viel. Es ging um die Frage, ob der Mörder von Rosenrot aus der rechtsextremen Ecke stammen konnte. Ein Motiv hatte ein solcher Mörder sehr wohl, jedenfalls in seiner abstrusen Logik. Es ging darum, einen Feind zu liquidieren. Und dass ihnen ein Menschenleben nichts wert ist, hatten diese Kreise vielfach gezeigt.
Adelina dachte eine Weile nach und meinte, ihre Intuition würde ihr sagen, dass der Täter nicht aus diesen Kreisen stamme. Solche Typen bringen Menschen um, ja, aber die Opfer sind immer kleine Leute, an die man leicht herankommt und deren Tod keine allzu grossen Wellen wirft. An jemanden heranzukommen, der wie Graziella Rosengarten eine gewisse Prominenz geniesst, ist schwieriger, und die Jagd nach den Tätern ist intensiver, als wenn das Opfer ein unbekannter Ausländer ist. Nein, meinte sie abschliessend, für eine solche Tat seien diese Typen einfach zu feige, das traue sie ihnen nicht zu.
Ich wandte schüchtern ein,
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