Rosenrot ist mausetot - Kriminalroman
reizt es mich noch immer, mich durch Busch und Stamm zu schlagen, weglos, einfach der Nase nach. Jetzt hatte ich zusätzlich einen guten Grund dazu.
Den Waldrand bildete eine Mischung aus Fichten, Föhren und Lärchen, Ahornen und Eschen. Dazwischen siedelte sich auch mal eine Stechpalme oder Vogelbeere an. Im Wald drin dominierten die Nadelbäume. Bald stiess ich auf eine offenbar erst vor wenigen Jahren ausgeholzte Lichtung, die von dichtem Brombeergestrüpp überwuchert war.
Vorsichtig, um mich nicht im Gestrüpp zu verfangen und mitten hineinzustolpern, ging ich am Rand der Lichtung entlang. Mitten hinein in die Brombeeren zu wanken, hatte ich einmal erlebt, und das reichte mir. Es war in der Toskana gewesen, wo die Brombeersträucher mannshoch wuchsen. Wie ich da hineingeraten war, ist eine andere Geschichte, jedenfalls litten meine nackten Arme und Beine ziemlich. Im Klartext: Ich blutete wie das berühmte Schwein. Dann geschah Erstaunliches: Meine Kratzwunden heilten in einem für meine Verhältnisse unheimlich schnellen Tempo. Mein bis dahin mangelhafter Appetit wuchs zu gesunden Ausmassen. Ich fühlte mich wie neugeboren. Und ahnte, dass das alles etwas mit der enormen Kraft der Brombeerpflanze zu tun hatte, mit der ich in ungewollt engen Kontakt gekommen war.
Seither nutze ich diese Erkenntnis und tanke bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Brombeerenergie, wenngleich nur noch in homöopathischen Dosierungen, indem ich ganz vorsichtig meine Fingerspitzen an die Spitze von Dornen presse, um die Erinnerungen an die handfesteren Dornenkontakte zu wecken. Das funktioniert jedes Mal erstaunlich gut. Auch jetzt.
Als ich mich aus meiner gebückten Haltung wieder aufrichtete und hochblickte, sah ich in vielleicht zehn Meter Entfernung einen Fuchs, dessen leuchtende Fellfarbe mich sofort an Rosenrots Haar erinnerte. Der Fuchs schnüffelte an etwas herum, das ich nicht sehen konnte. Dann nahm er mich wahr und zog ohne Hast von dannen.
Ich trug diesmal zum Glück lange Hosen und konnte mich so problemlos in das Brombeergestrüpp hineinwagen, um festzustellen, woran der Fuchs geschnüffelt hatte. Bald erblickte ich etwas, was augenscheinlich nicht hierhergehörte. Es handelte sich um ein in eine giftgrüne, wasserdichte Hülle eingepacktes iPad.
Ich wusste ungefähr, wie man ein solches Ding bedient, und konnte deshalb zweierlei feststellen. Erstens funktionierte es noch, hatte also Sturz und Gewitterregen unbeschadet überstanden. Und zweitens handelte es sich unverkennbar um das iPad von Graziella Rosengarten. Der Mörder musste es bei seiner Flucht durch den Wald verloren haben.
Weiter kam ich nicht. Die Dateien waren irgendwie geschützt, da kam ich allein nicht ran. Der kurze Gang zur Fachfrau oben in meiner Hütte war naheliegend. Und weitete sich schnell zu einem rasenden Traben aus. So neugierig war ich zu erfahren, ob wir in Rosenrots Unterlagen Hinweise auf ihren Mörder finden würden.
Den Zugang zu den normalen Dateien von Graziella Rosengarten hackte Adelina rasend schnell. Die Dateien enthielten jede Menge Bilder von bereits gestalteten und dreidimensionale Modelle von erst entworfenen Gärten. Beim Durchblättern wurde uns erst richtig klar, was für eine begnadete Gartengestalterin diese Rosenrot gewesen war.
Und was für eine nachdenkliche. Das zeigte sich im Manuskript ihres geplanten Vortrags über «Gartenbau als Modell für die Unternehmensführung?», auf das wir ebenfalls stiessen. Graziella Rosengarten prangerte darin an, dass die gängigen Management-Modelle immer noch eine viel zu mechanistische Grundlage haben: Man drückt einen Hebel und erreicht so eine beabsichtigte Wirkung. Dabei beweist jeder Tag, dass dieses Modell nicht funktioniert. Dazu sind Unternehmen viel zu komplexe Gebilde.
Ja, man könnte vom Unternehmen auch als organischem Gebilde sprechen. Dafür gibt es ein Modell: den Garten. Das wiederum dem Management als Vorbild dienen könnte: der Unternehmensführer nicht als Mechaniker, sondern als Gärtner.
Gärtner können viel tun. Sie können die richtigen Pflanzen an geeigneten Standorten platzieren. Sie können durch Wässern und Düngen Wachstum fördern. Sie können Schädlinge fernhalten. Und Gärtner können Wachstum und Blühen auch behindern. Nur eines können sie nicht: befehlen. Das Gras wächst nicht schneller, wenn man an ihm zupft.
Die Rolle des Gärtners ist bescheidener als jene des Oberbefehlshabers. Dafür ist sie näher am wirklichen Leben und
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