Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
Vom Netzwerk:
hinzunehmen. Es war wohl offensichtlich eines der seltsamen Dinge, die Dads eben tatenund die ich nicht verstand. Viel merkwürdiger als einige Sachen, die Mr. Hemsworth machte, war es ja nicht.
    »Komm her«, rief Toby, der sich nun zu dem hügeligeren Teil aufmachte, der rechts vom Haus lag. »Hier können wir gleich schlittern.«
    Dann brachte er die Füße in die Skateboard-Position und schlitterte ein paar Meter über das feuchte Gras. An der wässrigsten Stelle stolperte er und rutschte in das Gras, als wäre es eine Home Plate beim Baseball.
    »Alles okay?«, fragte ich, obwohl sein Fall wie Absicht ausgesehen hatte.
    »Ja.«
    Ich streckte ihm die Hand hin, um ihm aufzuhelfen, doch er riss so kräftig an mir, dass ich stattdessen zu ihm ins Gras fiel. Kichernd landete ich neben ihm, ließ aber schnell seine Hand los. Es fühlte sich zu seltsam an, seine dicken, kalten Finger zu berühren – und sei es auch nur für eine Sekunde. Das war zu nah am Küssen.
    Doch Toby schien nichts zu bemerken. Er lag auf dem gefrorenen Gras und machte den Mund weit auf, um die Schneeflocken einzufangen. Ich kam mir komisch vor, weil ich neben ihm hockte und ihn beobachtete, aber ich wollte es ihm auch nicht nachmachen. Den Geschmack von Schneeflocken hatte ich sowieso nie besonders gemocht.
    Dann fragte ich mich, wann Charlotte wohl wieder rauskommen würde, stand auf und ging zurück zur Veranda. Als ich mich dort umsah, bemerkte ich Mr. Dean, der regungslos in dem Gartenstuhl saß; auf seinem Kopf bildete sich schon langsam eine Schneehaube.
    Toby war mir nachgegangen und nun dicht hinter mir. »Guck dir sein Haar an«, flüsterte er mir kichernd zu.
    Doch ich lachte nicht, sondern ging näher an ihn heran. Der regungslose Mr. Dean verwirrte mich. Er sah fast aus, als sei er tot, und mir wurde eiskalt. Dann schlug Mr. Dean die Beine übereinander. Also war er nicht tot. Aber die Kälte blieb in meinen Armen und Beinen. Sein Gesicht war leer. Nicht lustig-leer wie das von Joe vorhin im Haus. Sondern leer-leer. Tot-leer. Er schien gar nichts von dem Schnee zu merken.
    Nein, versicherte ich mir im Stillen. Nein, er war nicht tot.
    Aber Rose.
    Ich wusste es. Zwar wusste ich nicht, woher ich es wusste, aber es war ebenso real wie die Tatsache, dass es schon später Abend war. Rose war tot.
    Ich machte einen Schritt auf Mr. Dean zu.
    »Der ist total erledigt«, erklärte Toby. »In der Werkstatt sind Leute ausgefallen. Nerven wir ihn lieber nicht.«
    »Ich nerv ihn nicht«, murmelte ich, während ich Mr. Dean anstarrte. Seine Wangen sahen so unglaublich weiß aus, seine Haut papierdünn und gräulich. Und seine Augen waren so ausdruckslos wie die von einem Toten.
    Ich erschreckte mich, als Mr. Dean plötzlich blinzelte. Man erwartet einfach nicht, dass ein Skelett blinzelt. Nicht dass Mr. Dean ein Skelett gewesen wäre. Aber Rose. Ich wusste einfach, dass Rose eins war.
    Dann hörte ich, wie Toby sich von hinten näherte.
    »Er mag Schnee«, flüsterte er. »Es würde mich nicht wundern, wenn er so einschläft.«
    »Mhm.« Ich trat noch ein bisschen näher an ihn heran.
    Rose war tot! Eine Windböe blies über uns alle hinweg, und für einen Moment änderte sich die Richtung, in die die Schneeflocken flogen. Sie flogen mir nun direkt in die Augen.Ich kniff sie zu, und als ich sie wieder aufmachte, guckte Mr. Dean mich an.
    Es war nur ein kurzer Moment, und dann wurden seine Augen wieder leer. Doch der kurze Moment hatte genügt; ich hatte einen Schmerz gesehen, der sich so anfühlte, wie allein im Dunkeln im Bett zu liegen.
    »Ich glaube, mein Schlitten ist im Schuppen, falls du ...«, begann Toby.
    Schnell versuchte ich, mich an ihm vorbeizudrängen, aber er packte meine Jacke und starrte mich an, sowohl mit seinem gesunden als auch mit dem anderen Auge.
    »Was ist?«, fragte er.
    Seine Stimme klang eher niedergeschlagen als überrascht. So, als hätte er dasselbe gesehen wie ich. So, als hätte er nicht gewollt, dass ich es sah. Ich blickte Toby an. Selbst mit dem einen trägen Auge war sein Blick wärmer und lebendiger als der seines Dads, allerdings war er genauso schmerzlich anzusehen. Mir war, als sähe ich Charlottes schwarze Bücher in seinen Augen. Bilder aus Charlottes furchtbaren schwarzen Büchern. Einen schreienden Gefangenen in dem von einem Baum hängenden Käfig eines Druiden. Ein von Nägeln durchbohrtes Schafsherz. Einen jungen Aztekenkrieger, dem das Herz herausgerissen wurde, den aber keine Vogelseele befreien

Weitere Kostenlose Bücher