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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
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frische, noch verschlossene Tüte hinter einigen Crackerschachteln hervor.
    Besonders gern mochte ich Käsekringel nicht, aber weil er sich so freute, sagte ich: »Klar.«
    Toby wedelte eine zweite Motte weg und nahm eine blaue Plastikschale aus einem anderen Schrank, in die er die Käsekringel schüttete.
    »Das sind ganz schön viele«, stellte ich fest.
    »Wir sind ja auch vier Leute«, gab er zu bedenken und machte den Kühlschrank auf. »Magst du Kräuterlimo?«
    »Ja.«
    Toby zog eine fast leere Flasche Kräuterlimonade vom »Stop & Shop« aus dem Kühlschrank und stellte zwei Gläser daneben. Dann füllte er eins davon ungefähr zur Hälfte.
    »Die Kohlensäure ist schon raus«, stellte er fest. »Tut mir leid.«
    »Das ist okay. Ich mag es so, weil die Limo dann süßer ist.«
    Toby streckte mir die Flasche entgegen, überlegte es sich dann aber anders und goss mir ein. Ich tat, als hätte ich es nicht bemerkt, bekam aber eine Gänsehaut an den Unterarmen. Er schenkte mir ein! Das war quasi die Vorstufe zum Küssen. Ein bisschen eklig war das schon.
    Einen Moment lang umschwirrte eine der Motten aus dem Schrank Tobys Hände, und er wedelte sie fort. Die Geste wirkte so selbstverständlich, dass ich daraus schloss, dass er an Motten in der Küche gewöhnt war. Ich fragte mich, ob so etwas wohl normal war, wenn man keine Mutter mehr hatte – ich meine, dass Motten im Haus lebten. Und auf einmal war mir, als würde ich Toby ein kleines bisschen besser verstehen.Was natürlich nicht hieß, dass ich von ihm geküsst werden wollte.
    »Meinst du, Charlotte wollte, dass du mit ihr nach oben gehst?«, fragte er, als wir wieder ins Wohnzimmer zurückgingen.
    »Wieso denkst du das?«
    Er machte auf dem Couchtisch vor Joe Platz für die Käsekringelschale, indem er Zeitungen, einen kaputten Lötkolben und einen Stapel leerer Videohüllen beiseiteschob.
    »Ich meine, hat sie denn keine Angst?«
    »Sie schreit, wenn was ist, schätze ich«, sagte ich und setzte mich auf die eine Seite von Joe; Toby setzte sich auf die andere.
    Joe starrte auf den Fernseher und sagte nichts. Donahue redete gerade auf die Hausfrau ein, die nebenher als Stripperin arbeitete. Ich aß einen Käsekringel nach dem anderen und versuchte, mir das Käsepulver von den Fingern zu lutschen, doch es wurde nur noch klebriger und bildete eine orangefarbene Kruste unter meinen Nägeln.
    Toby verkündete, dass er nach Charlotte sehen wolle. Dann trampelte er die Treppe hinauf und ließ mich mit seinem Bruder allein.
    »Willst du nichts?« Ich hielt Joe die Schale mit den Käsekringeln hin.
    Joe drehte sich zu mir um und sah mich auf diese blöd-traurige Art an, mit der Toby manchmal Lehrer anguckte, wenn sie ihn im Unterricht aufriefen – als wüsste er nicht mal, was die Frage war, von der Antwort ganz zu schweigen. Dann nahm er sich einen einzelnen Käsekringel aus der Schale und sagte: »Danke«, wobei er für einen winzigen Augenblick lächelte, bevor er sich wieder dem Fernseher zuwandte.
    Ich bemerkte, dass er den Käsekringel in der Hand behielt.Ein paar Minuten lang sahen wir uns zusammen »Donahue« an. Doch als Toby wiederkam, stand Joe auf und verschwand in der Küche. Seinen Käsekringel ließ er auf dem Sofakissen zwischen Toby und mir liegen.
    Im Fernsehen trat einer der Männer der Hausfrauen-Stripperinnen auf und beantwortete Donahues Fragen. Das Thema war weniger peinlich gewesen, als Joe noch hier war. Jetzt, allein mit Toby, war es fast unerträglich. Also schnappte ich mir eins der schwarzen Bücher, die ich auf die Sofalehne gelegt hatte.
    »Kennst du die?«, fragte ich Toby.
    »Sind das Charlottes?«
    »Ja.«
    »Charlotte zeigt mir nie was.«
    Ich warf ihm Unerklärliche Begegnungen hin. »Guck’s dir an.«
    Gleich auf der ersten Seite meines Buches, Geisterphänomene , hatte Charlotte einige Sätze mit grüner Tinte eingekreist und mit Sternchen markiert:

    Beispielsweise stellte der Physiker Sir Oliver Lodge 1908 die These auf, dass solche Phänomene eine »geisterhafte Nachwirkung lange zurückliegender Tragödien« sein könnten. Lodge und andere waren davon überzeugt, dass sich besonders starkes Leid in die Umgebung einprägte und später auf Menschen übertrug, die sensibel genug waren, um es zu erspüren.
    Ich wusste nicht, was Charlotte an diesem Absatz so brennend interessierte, denn ich verstand ihn nicht einmal richtig, abgesehen von »starkes Leid«. Wusste Charlotte wirklich, was das bedeutete, irgendwo tief in ihrem

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