Rosenrot, rosentot
Innern? Oder weckte esbloß einfach ihre Neugier, wie beinahe alles, was sie einkreiste und unterstrich?
Ich überblätterte die Seiten mit Bildern von englischen Spukschlössern, die bereits Eselsohren hatten. Charlotte war mal ganz begeistert von englischen Spukschlössern gewesen, in letzter Zeit hatte das aber nachgelassen. Also schlug ich gleich mehrere Seiten auf einmal um.
»Hey, guck dir das an!«, rief Toby. »Hier steht, dass nackte Geister selten sind, und Charlotte hat das unterstrichen.«
Ich tat es mit einem Achselzucken ab. »Das wir wohl stimmen, oder? Geister haben doch normalerweise Sachen an, wenn sie gesehen werden.«
Doch Toby lachte trotzdem, was mich ärgerte. Waren wir nicht zu alt, um loszugackern, nur weil Ausdrücke wie »nackt« oder »Darmgase« in einem Text auftauchten? Ich verdrehte die Augen, rückte auf der Couch weiter von ihm weg und schaute aus dem Fenster.
»Oh Mann, Toby, es schneit!«, rief ich.
Tobys Mund stand schon wieder offen, als er aufblickte. »Cool«, staunte er und ließ Unerklärliche Begegnungen auf die Couch fallen.
Dann griff er nach seiner dicken braunen Jacke und stürmte nach draußen. Ich lief ihm nach. Der Schnee fiel schnell und in dicken Flocken. Das war kein leichtes Einpudern mehr, sondern mehr die »Morgen fällt die Schule aus«-Sorte Schnee.
»Wow!«, rief Toby und sprang über die drei Verandastufen nach unten. Dort angekommen streckte er seine Zunge weit raus.
Schnell eilte ich ihm nach und fühlte, wie Flocken auf meinen Wangen landeten. Dieses Gefühl, das man das Jahr überimmer wieder vergaß, mochte ich sehr, weil es zu Beginn jeden Winters neu war und einen doch gleichzeitig an das letzte Mal erinnerte.
Toby versuchte, auf der Einfahrt zu schlittern, doch dazu lag noch zu wenig Schnee.
»Weißt du noch, wie wir früher mal beim Teich waren?«, fragte er.
»Na, aber hier kannst du wenigstens nicht ins Eis einbrechen«, erinnerte ich ihn.
»Es macht aber auch nicht so viel Spaß. Das war doch vor allem deshalb so witzig, weil wir wussten, dass das Eis vielleicht bricht.«
»Ja-ah«, sagte ich, obwohl ich mir gar nicht sicher war, dass ich wirklich zustimmen wollte.
Da kam Mr. Deans Truck die Straße hinaufgerumpelt und bog in die Einfahrt. Als er ausstieg, baumelte ein Milchkanister an seinem Daumen.
Es wirkte, als sei er erstaunt darüber, Toby und mich im Garten zu sehen.
»Was macht ihr zwei denn da?«, fragte er.
»Wir probieren bloß den Schnee«, antwortete Toby.
Mr. Dean reichte ihm die Milch. »Stellst du die bitte für mich in den Kühlschrank, Tobe?«
Es kam mir komisch vor, dass er Toby extra ins Haus schickte, obwohl er doch selbst gleich hineingehen würde. Toby nahm die Milch und lief nach drinnen.
»Wie lange seid ihr zwei denn schon hier draußen?«, fragte Mr. Dean mich.
Ich versuchte, ihm in die Augen zu sehen, bevor ich ihm eine Antwort gab. Das versuchte ich gerade bei allen Eltern, aber sein Erscheinungsbild lenkte mich irgendwie ab. Vielleicht waren es die schmierigen Ponysträhnen, die ihm praktisch über eins seiner Augen hingen. Außerdem war sein Gesicht gräulich und so knochig, dass seine Wangenknochen und der Adamsapfel schmerzlich scharf hervorstanden. Wenn ich ihn ansah, musste ich an die Zeit denken, als Tobys Großmutter gestorben war, damals, als meine Mutter herkam, um ihm zu helfen.
»Seit es angefangen hat zu schneien«, antwortete ich schließlich und wandte meinen Blick ab.
»Dann seid ihr eben erst in den Garten gekommen?«
»Ja.«
Mr. Dean drehte sich einmal um die eigene Achse und sah sich im Garten um, wobei er besonders unsere Fußabdrücke im Schnee beäugte.
»Hübsch, oder nich’?«, fragte er.
Mr. Dean war eigentlich zu gebildet und wohlerzogen, um »oder nich’« zu sagen, und benutzte dieses Frageanhängsel sicher nur, um freundlich oder witzig zu wirken.
»Ja«, stimmte ich ihm zu.
In dem Moment öffnete sich knarrend die Haustür, und Toby kam wieder von der Veranda gesprungen. Sein Dad lächelte ihm mit einem Kopfnicken zu und trottete dann über den Rasen zu dem Gartenstuhl zwischen Joes klapprigem Schuppen und dem ebenso klapprigen Rübenkeller. Ohne den Schnee wegzuwischen, der sich bereits auf der Sitzfläche angesammelt hatte, sank er auf den Stuhl, wobei er so zufrieden seufzte, wie es Leute normalerweise taten, wenn sie sich in ihren Lehnsessel fallen ließen.
Toby schien meinen fragenden Blick nicht zu bemerken. Also beschloss ich, es einfach so
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