Rosenrot, rosentot
ich herausfinden würde. Es gab nur einen Menschen, mit dem ich über Rose hätte sprechen können, und der war in dem Jahr ziemlich fertig. Der konnte das nicht auch noch gebrauchen.«
»Es tut mir schrecklich leid«, flüsterte ich.
Aber Toby schien mich gar nicht zu hören. Er stand auf und stampfte die Treppe hinauf. Wenige Minuten später kehrte er mit einem zerfledderten Collegeblock in der Hand zurück.
»Hast du deinen Bruder mal darauf angesprochen?«, fragte ich.
Er setzte sich wieder auf die Couch, und ich starrte den Collegeblock in seiner Hand an. Das violette Deckblatt war an den Rändern abgewetzt, und das Papier hatte an den Ecken bräunliche Flecken. Der Collegeblock war offensichtlich einmal für drei Fächer gedacht gewesen, doch eine der Trennseiten war herausgerissen und die andere halb eingeknickt. Jemand hatte mit schwarzer Tinte »Geschichte« auf das Blatt geschrieben. Darunter war kräftig radiert worden, um das Wort » HI « in den lila Einband zu kratzen.
»Nein«, antwortete Toby und malte das » HI « mit dem Finger nach. »Was sie hier geschrieben hat, genügte – oder reichte mir zumindest, um zu wissen, dass ich nichts fragen wollte. Es verriet mir genug; ich hatte Angst, weitere Fragen zu stellen.«
Toby sah mich wieder an. »Bevor ich dir das hier zeige, muss ich dich noch was fragen: Bist du wirklich wegen eines Datsuns und eines Dodges zu mir gekommen? Verfolgst du diese Spur, oder steckt mehr dahinter?«
»Was meinst du?«
»Was ich wissen will, ist ... habe ich mir das nur eingebildet, oder hast du immer irgendwie geahnt, dass was nicht stimmt?«
»Ich wusste gar nichts.«
»Vielleicht wusstest du nichts Genaues, aber man hat dir was angesehen, und zwar mehr als nur einmal ... Du wusstest, dass du vor irgendetwas Angst haben solltest.«
»Ja, Toby. Aber ich schwöre, das ist alles, was ich wusste!«
»Was ja schon mal etwas war. Und manchmal frage ich mich, wie du das überhaupt auch nur ahnen konntest.«
Eine sanfte Brise wehte durch das Dean-Wohnzimmer und blies mir den staubigen Geruch entgegen.
»Ja«, gab ich ihm recht. »Das frage ich mich manchmal auch.«
»Und weil du das wusstest, hätte ich nie damit gerechnet, dass du zurückkommst. Nora, was willst du hier? Ist dir nicht klar, dass es zu spät ist, um Fragen zu stellen?«
»Wie kann es dafür zu spät sein?«
Toby drehte den Block um und blickte auf die Rückseite. Dort hatte jemand mit Bleistift »Er ist so widerlich!« hingeschrieben, und jemand anders hatte mit schwarzer Tinte ein »Ja« daruntergesetzt. Nur zu gern hätte ich Toby den Block aus den Händen gerissen, doch er war viel stärker als ich, sodass es mir kaum hätte gelingen können.
»Erinnerst du dich an den Abend, als ich dich gefragt habe, warum du versucht hast, dich umzubringen?«
»Ja. Aber was hat das mit Rose zu tun?«
»Eine Menge. Du wirst es sehen, sobald du das hier liest.«
»Dann lass es mich doch endlich lesen!«
»Ja. Wenn du mir die Frage beantwortet hast.«
»Okay ...«, erklärte ich mich einverstanden, jedoch nicht ohne Misstrauen.
Inzwischen kam es mir so vor, als wäre der Block nur ein Köder, um mich in eine endlose Unterhaltung zu verwickeln, denn das hier war eine Frage, auf die ich niemals eine befriedigende Antwort würde geben können.
»Ich habe es getan, um mich zu befreien. Nachdem ich lange Zeit still gewesen war, bemerkte niemand mehr, dass ich überhaupt noch da war. Und ich war mir nicht sicher, wie viel von mir noch übrig war. Ich tat es, um zu sehen, was ich auslösen kann.«
»Ist das eine hübsche Umschreibung dafür, dass du Aufmerksamkeit wolltest?«
»Nein. Oder ja – sofern du einer von denen bist, die unbedingt für alles einen Namen brauchen. Tod oder Aufmerksamkeit. Der eine ist nobel und tragisch, der andere lästig und erbärmlich. Demnach falle ich in die ›Lästig und erbärmlich‹-Kategorie. Aber ich denke, du weißt, dass es in Wirklichkeit ein bisschen komplizierter ist; schließlich hast du mich gekannt, du wirst dich erinnern.«
»Ja.« Toby entspannte sich ein wenig, hielt den Block nicht mehr ganz so fest. »Aber das ist immer noch keine Erklärung. Zu sagen, es sei kompliziert gewesen, erklärt nichts.«
»Okay. Na gut. Ich fühlte mich gefangen. Also ich meine: Nein, ich wollte nicht sterben, aber ich wollte mich auch nicht mehr gefangen fühlen. Dabei ging es nicht um irgendjemand anders; es ging ausschließlich um mich.«
»Inwiefern gefangen ?«
»In
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