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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
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Porter zu sehen. Etwas in mir hatte dichtgemacht – wie es immer geschah, wenn Charlotte mich zu sehr bedrängte. Schon mein trotziges Elfjährigen-Ich hatte sich geweigert, ihr diese Befriedigung zu gönnen, selbst wenn das bedeutet hatte, dass ich neben ihr stumm und dumm wirkte.
    »Weder noch«, entgegnete ich deshalb, nachdem ich das Blatt heruntergeschluckt hatte.
    Minutenlang aßen wir schweigend.
    »Was hast du herausbekommen?«, wiederholte Porter dann seine Frage.
    Als wir wieder im Haus der Familie Hemsworth waren, packte ich eilig meine Reisetasche. Es war noch früh, erst kurz nach acht, als ich verkündete, dass ich mit meiner Mutter telefoniert hätte und sie darauf bestanden habe, dass ich sie gleich heuteAbend besuchte. Charlottes fragenden Blick auf meine Tasche beantwortete ich mit der Erklärung, meine Mutter wäre gewiss beleidigt, wenn ich nicht über Nacht bliebe. Charlotte war anzusehen, dass sie mir das nicht abkaufte, aber sie war müde von dem Wein und dem Essen und widersprach mir nicht. Außerdem war ihr klar, dass sie mich irgendwie verärgert hatte, auch wenn ihr die Energie fehlte, um nach dem Grund zu fragen.
    Nachdem ich meine Tasche auf den Rücksitz geworfen hatte, fuhr ich schnell in die Innenstadt und parkte am »7-Eleven«. Ich ging in den Laden, kaufte eine große Schachtel Bonbons und setzte mich dann ins Auto, wo ich erst mal eine Weile sitzen blieb und eins nach dem anderen lutschte. Ich freute mich über mein Auto, über die hellen Neonlichter des Supermarkts und über die Chance, aus Waverly zu fliehen. Mir fiel auf, dass ich zum ersten Mal mit meinem eigenen Wagen in Waverly war. Während meiner Highschoolzeit hatte ich kein Auto besessen, außerdem lernte ich erst im letzten Schuljahr überhaupt fahren – als genug Zeit seit meinem »Zwischenfall« verstrichen war und man sich endlich traute, mich hinter ein Steuer zu lassen. Meine Mutter hatte mir nur sehr selten ihren Wagen geliehen – wenn ich Eier oder Milch besorgen sollte, sonst nicht. Im Nachhinein dachte ich, Waverly wäre vielleicht weniger übel gewesen, wenn ich mir damals etwas mehr Freiheit erkämpft hätte. Heute Abend kam mir die Stadt sogar richtig hübsch vor, während ich so dahockte, künstliches Kirsch- und Traubenaroma lutschte und die leichte Abendbrise genoss, die durch den Fensterspalt hineinwehte. Trotzdem war ich immer noch nicht bereit, meine Mutter anzurufen.
    Auf diesem Parkplatz hatte Toby mich gefragt, ob ich mit ihm zum Abschlussball gehen wolle. Er hatte mich nach Hause gefahren und hier kurz angehalten, um Milch und ein paar Dosen Spaghetti zu kaufen; ich vermutete, dass sie das Abendessen für ihn, seinen Bruder und seinen Dad werden sollten, und die Vorstellung machte mich ziemlich traurig. Noch trauriger war, wie er sich abmühte, all die Dosen auf einem Arm zu balancieren, als er beim Rauskommen versuchte, die Tür für eine schwangere Frau aufzuhalten. Ich beobachtete ihn, wie er in den Wagen stieg, die Dosen nach hinten auf die Rückbank warf und seine Schlüssel aus der Jeanstasche angelte.
    »Gehst du zum Abschlussball?«, hatte ich ihn gefragt, als er den Motor anließ.
    Er lachte leise und antwortete: »Wohl eher nicht.«
    »Und du?«, fragte er dann.
    Mir gefiel, dass er stets einhändig fuhr, den linken Arm lässig aus dem offenen Fenster gelehnt. Ich wusste schon gar nicht mehr, wann ich zuletzt gedacht hatte, dass er wie ein Affe roch. Und das traurige Gefühl, das sich angesichts der Nudeldosen in mir breitmachte, brachte mich ihm irgendwie näher.
    »Mich hat noch keiner gefragt«, antwortete ich achselzuckend.
    Er fuhr zur Parkplatzausfahrt, sah nach rechts und links und dann zu mir. »Willst du denn hingehen?«
    »Könnte doof sein, könnte aber auch spaßig sein«, sagte ich.
    »Möchtest du hin? Mit mir?«, fragte er schlicht, und ich nahm die Einladung an.
    Nun schaltete ich den CD -Player ein, hörte ein bisschen »Neutral Milk Hotel« und überlegte, was ich tun sollte. Mein erster flüchtiger Gedanke war, direkt nach Hause zu fahren. Mirfehlte Neil, und ich fühlte mich hier in Waverly nicht wohl, Abendbrise und Bonbons hin oder her. Es war ein bisschen zu spät, um die 95 hinunter bis nach Hause zu fahren, aber ich könnte unterwegs in einem billigen Motel übernachten. Billige Unterkünfte waren mir nicht neu; genau genommen mochte ich sie sogar. Wenn Neil und ich unterwegs waren, riefen wir oft die »Motel 6«- oder »Super 8«-Motels von deren Parkplatz aus

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