Rosenrot, rosentot
den Atem an, als meine Mutter abnahm und Hallo sagte.
»Ah, hi, Richie! Wie geht es dir?«
Nach einigen Ahas und Oh-mein-Gotts verschwand sie mit dem Telefon im Schlafzimmer und schloss die Tür. Ich wusste, dass Richie Charlottes Dad war. Und die wenigen Brocken des Gesprächs, die ich durch die Tür aufschnappte, verdarben mir den Appetit. »Und was macht die Polizei? Mein Gott. Wie hält Wanda sich?«
»Das war Mr. Hemsworth«, erklärte meine Mutter anschließend und setzte sich wieder an den Tisch.
Ich nickte.
»Er hat gesagt, dass Rose heute nicht zum Babysitten gekommen ist. Anscheinend wird sie vermisst. Schon seit gestern.«
»Gestern war sie noch da«, widersprach ich. »Bei Charlotte und mir.«
»Ich weiß. Das hat Mr. Hemsworth eben erzählt. Aber sie ist abends nicht zum Essen nach Hause gekommen. Sie ist überhaupt nicht nach Hause gekommen.«
»Nicht mal zum Schlafen?«
»Nein, Nora. Keiner hat sie seit gestern Nachmittag gesehen. Sie ist gar nicht mehr nach Hause gekommen.«
»Haben sie die Polizei gerufen?«
»Natürlich. Schon gestern Abend.«
»Aber ich habe gesehen, dass sie nach Hause gegangen ist.«
»Hast du?«
»Ja. Sie war bei mir. Wir sind zusammen nach Hause gegangen.«
»Und du hast gesehen, wie sie den Hügel hinaufgegangen ist?«
»Ja. Na ja, nicht den ganzen Weg, denn so weit kann ich von hier aus ja gar nicht gucken. Aber sie ist in die Richtung gegangen.«
Meine Mutter schwieg und kaute auf ihrem Daumennagel.
»Iss dein Kotelett«, murmelte sie.
Ich versuchte es, schnitt ein kleines Stück ab – ein winziges, wie Mom sie mir geschnitten hatte, als ich noch klein war.
»Ihre Eltern sagen, dass sie nicht mehr zu Hause war«, überlegte meine Mutter laut. »Andererseits sind sie ja selbst immer erst spät zurück. Vielleicht war sie zu Hause und ist dann wieder weg.«
»Wohin soll sie denn gegangen sein?«, fragte ich.
Meine Mutter biss immer noch auf ihrem Nagel herum. Wenn ich das machte, bekam ich einen Klaps auf die Hand.
»Ich weiß es nicht, Schätzchen. Das soll die Polizei ja gerade herausfinden. Es hört sich an, als würden sie glauben, dass Rose weggelaufen ist.«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte ich bestimmt. Kurz überlegte ich, ob ich ihr von meiner Unterhaltung mit Rose über die Aliens erzählen sollte, entschied mich dann aber dagegen. Meine Mutter würde nur denken, dass ich versuchte, einen schlechten Scherz zu machen.
»Wir wissen noch nicht, was passiert ist, Nora. Das weiß einfach noch niemand. Für ihre Eltern ist es richtig furchtbar.«
Ich schnitt noch ein winziges Rechteck aus meinem Kotelett und steckte es in den Mund. Dann kaute und kaute und kaute ich, konnte mich jedoch nicht überwinden, es runterzuschlucken.
»Sie hat dich gestern nach Hause gebracht? Wie spät war es da?«, fragte meine Mutter.
»So wie immer. Wir sind gegangen, als Mr. Hemsworth nach Hause gekommen ist.«
»Aber wie spät war es da?«
»Das weiß ich nicht.«
»Du würdest es mir doch erzählen, wenn irgendetwas Komisches vorgefallen wäre, oder? Wenn jemand mit dem Wagen angehalten und mit Rose geredet hätte, nicht wahr? Oder wenn ihr Fremde gesehen hättet?«
Fremde. Über die sprachen sie auch in der Schule dauernd. Ich stellte mir darunter schlaksige, schlecht rasierte Männer in schwarzen Trainingsanzügen vor, die hinter Bäumen hervorsprangen oder sich ächzend unter Autos versteckten. Ich wünschte, so etwas Spannendes würde man hier mal zu sehen kriegen.
»Ja«, antwortete ich. »Aber wir haben nichts Komisches gesehen.«
»Bist du sicher?«
»Ja doch!«, versicherte ich beleidigt. Wie könnte ich mir denn da nicht sicher sein?
Meine Mutter griff über den Tisch und schob mir den Pony aus dem Gesicht. Doch sie sah mich weder streng an, noch verlangte sie, ich solle nicht in diesem Ton mit ihr reden. Sie seufzte nicht einmal, dass ich dringend zum Friseur müsse. Stattdessen strich sie mir nur mit den Fingern durchs Haar und ließ ihre Hand an meiner Schläfe.
»Bist du dir ganz sicher?«, wiederholte sie noch einmal, jetzt leiser. Sie guckte mich an, als wäre ich von einem anderen Planeten. Ihre Augen waren sehr groß, und ihr Mund stand ein bisschen offen.
»Jaah«, erwiderte ich gedehnt.
»Oh mein Gott«, flüsterte sie und streichelte meinen Kopf.Das war nicht an mich gerichtet. An niemanden eigentlich, nicht mal an Gott, denn ich war mir ziemlich sicher, dass sie gar nicht richtig an ihn glaubte. »Was müssen Wanda und Lewis
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