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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
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mit dem ich meine Probleme hatte, sondern auch daran, dass sie keine wunderschönen Adlerseelen zeigten, die doch das Ergebnis dieses scheußlichen Rituals sein sollten.
    Ein Vogelsymbol würde uns verraten, ob Rose uns verlassen hatte, um »an einen besseren Ort zu gehen«, wie Charlottes Mom sagte, wenn Leute gestorben waren. Vielleicht war Rose im Himmel – falls es einen Himmel gab. Mir fiel es schwer, mir einen Himmel als etwas anderes als ein »Blau ohne Wolken« vorzustellen, wie man es manchmal in Filmen sieht, wenn jemand flüchtig mit dem Tod in Berührung kommt, aber danach wieder richtig glücklich ist. Ich konnte mir Rose nicht in dieser Art von Himmel vorstellen. Was sollte sie da tun? Den ganzen Tag herumschweben? Und durfte man dort überhaupt sarkastische Witze machen? Vermutlich nicht. Aber wenn nicht, was genau wäre Rose dann im Himmel, und was würdees ihr bringen, dort zu sein? Würde ich sie am Ende da treffen, wenn ich als alte Frau starb? Worüber würden wir reden? Wäre sie höflich zu mir, weil ich alt bin, auf diese überfreundliche, gekünstelte Art, die ich gegenüber Mrs. Crowe an den Tag legte? Würden wir alle paar Tage mal ein bisschen »plaudern«, wenn wir einander dort im Himmel trafen, für immer?
    Das hörte sich alles nicht richtig gut an. Nur wäre die andere Option – dass Rose schlicht tot war, ihre Leiche irgendwo verrottete und Würmer an ihren Augäpfeln leckten – auf jeden Fall schlimmer. Oder nicht? »Nie wieder« war ein abgefederter Tritt in die Magengrube, aber »für immer« war schwindelerregende Übelkeit. Was wäre Rose wohl lieber? Was wäre mir lieber? Nicht dass es ausschlaggebend gewesen wäre, was mir lieber war – ich durfte ja schließlich gar nicht bestimmen –, aber vielleicht durfte ich einfach hoffen, dass ich irgendwie die Wahl hätte. Tot und vorbei. Augenblick ... Äh, nein! Dann ewig. Ewig im Himmel. Jeden sehen, den ich kenne, jeden Tag. Bis wann? Warum? Wieder wurde mir übel. Tot und weg. Vorbei und vergessen. Aber das war so schrecklich, so kalt und grausam. Für Rose und für mich und für meine Mutter und jeden anderen!
    Ich konnte mich nicht entscheiden, was schlimmer war, und von diesem Hin und Her wurde mir ganz schlecht. Also vergrub ich mein Gesicht im Kopfkissen und weinte leise hinein, bemühte mich, an etwas anderes zu denken, versuchte, alle Hunderassen oder alle möglichen Kuchenglasuren aufzuzählen. Ich überlegte, meine Mutter aufzuwecken und ihr zu erzählen, was für eine Angst ich hatte. Aber dann würde ich bloß sehen, wie sie mitten in der Nacht aussah, blinzelnd und müde, und das würde mich nur daran erinnern, wie alt sie war. Außerdem war mir klar, dass sie nicht diejenige war, diemir meine Fragen beantworten konnte. Niemand konnte mir die beantworten. Und sie – weil sie nun mal meine Mutter war, also älter als ich – hatte weniger Zeit, über solche Fragen nachzugrübeln. Bei dem Gedanken tat sie mir leid.
    In meinem Kopf formten ich gelbe Zuckergussblüten und grüne Zuckergussblätter, bis ich in einen hungrigen Schlaf fiel.

Elf

    24. Mai 2006
    Meine Mutter war schon früh morgens aufgestanden, um mir einen Boston-Cream-Donut zu holen. Als ich aufstand und in die Küche schlurfte, lag er auf einer geblümten Untertasse auf dem Esstisch, neben einer wahnsinnig fröhlich wirkenden Schale mit Erdbeeren. Meine Mutter saß am Tisch und las die Zeitung, ihren unberührten Vollkornmuffin auf ihrer dazu passenden Untertasse. Ich fragte mich, wie lange sie wohl dort schon so gesessen und geduldig darauf gewartet hatte, dass ihre missratene Tochter endlich aus dem Bett kam.
    »Danke«, murmelte ich groggy und setzte mich an den Tisch.
    »Erinnerst du dich noch? Boston-Cream-Donut mit Erdbeeren?«
    »Ja. Das ist wunderbar.«
    Damals, an dem Abend bevor sie mich zum College fuhr, hatte sie mich, während wir vor dem Fernseher saßen, gefragt: »Was ist für dich ein perfektes Frühstück?« Es war offensichtlich, was sie vorhatte, denn eine solche Frage hatte sie noch nie gestellt. Deshalb überraschte es mich nicht, am folgenden Morgen die genannten Sachen vorzufinden, doch bizarr war es schon – ein bisschen wie die Henkersmahlzeit vor dem elektrischen Stuhl. Ich zwang mich, beim Essen zu lächeln. Seitdem servierte mir meine Mutter alle paar Jahredieses Frühstück und fragte mich dann, ob ich mich noch daran erinnerte.
    »Gut geschlafen?«
    »Ja, nicht schlecht.«
    Ich biss in den Donut. Der Teig hatte die

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