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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
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dass einige der Jugendlichen Angst hatten, sie könnte sich zu Tode trinken.«
    »Oh«, staunte ich. »Das ist komisch. So kannte ich sie überhaupt nicht.«
    »Wie? Betrunken?«
    »Nein ... ich weiß auch nicht. Es hört sich blöd an, aber ich habe sie nie für so einen Teenager gehalten.«
    »Nun, wir sollten nicht vorschnell über sie urteilen. Es wäre ja auch möglich, dass sie noch nie vorher getrunken hatte und einfach nicht wusste, wann sie aufhören musste. Vielleicht hat ihr auch jemand heimlich nachgeschenkt. Möglicherweise ihr Freund; ihr hübscher Freund war nicht gerade die Vernunft in Person. Sie hatte Glück, dass jemand anders so vernünftig war, sie ins Krankenhaus zu bringen.«
    »Wer hat sie hingebracht?«
    »Das war Paul. Paul Hemsworth.«
    Meiner Mutter entging nicht, dass ich verwundert war.
    »Ich habe nicht gesagt, dass er auch betrunken war«, ergänzte sie rasch. Das hätte auch nicht zu Pauls blitzsauberem Ruf gepasst. »Es war klug von ihm, sie in die Notaufnahme zu fahren. Gewissenhaft. Immerhin hatte es erst kurz vorher diesen Unfall mit dem Jungen gegeben, der seitdem gelähmt war. Es kann gut sein, dass die Jugendlichen danach ein bisschen vorsichtiger waren.«
    Ich nickte. An den Unfall erinnerte ich mich. Brian Pilkington war der Bruder von Sally Pilkington gewesen, die wiederum mit mir in eine Klasse ging. Er war ungefähr in Pauls Alter und entweder in seiner Klasse oder eine tiefer, in der von Rose.
    »Hat irgendwer der Polizei davon erzählt?«, fragte ich. »Passierte das kurz vor ihrem Verschwinden?«
    »Ein paar Wochen vorher. Ihre Eltern hatten sie abgeholt, also wussten sie natürlich, was passiert war. Ich vermute, dasssie der Polizei alles erzählt haben, was sie für wichtig hielten – und damit auch von jener Nacht.«
    »Aha.«
    »Es war richtig schrecklich, weil beides so dicht aufeinanderfolgte. Rose und davor dieser arme Junge – wie hieß er noch gleich? Pilkerton?«
    »Pilkington. Brian Pilkington.«
    »Zwei der schlimmsten Tragödien, die Waverly je erlebt hat, und beide im selben Jahr und in derselben Klasse. Nun, vielleicht nicht die schlimmsten. Aber die dramatischsten. Ein Kind gelähmt, ein anderes verschwunden. Das ist viel für die behütete kleine Waverly-Welt, zumal wenn alles innerhalb von ein oder zwei Monaten passiert.«
    »Wohnt Brian Pilkington noch in der Gegend?«, wollte ich wissen.
    »Weiß ich nicht. Ich glaube, seine Eltern leben noch hier. Ich meine, ich hätte ihren Namen erst kürzlich gehört.«
    »Sind sie immer noch Zeugen Jehovas?«
    »Waren sie das?«, fragte meine Mutter erstaunt.
    »Ja. Ich erinnere mich noch daran, dass sich seine Schwester an Halloween nicht verkleiden durfte.«
    »Hm«, machte meine Mutter achselzuckend.
    Es wunderte mich selbst, dass ich das nicht vergessen hatte. Seit Jahren hatte ich nicht mehr an die Pilkingtons gedacht. Als Kind wusste ich nichts über diese Religion, außer dass die Leute an fremde Türen klopfen mussten und zu Weihnachten keine Geschenke bekamen. Und viel mehr wusste ich heute auch nicht, abgesehen davon, dass über ihre Broschüren gern gelästert wurde, weil sie immerzu Bilder von Leuten zeigten, die Löwen, Leoparden oder Antilopen streichelten und unglaublich vergnügt waren. In diesem Moment fiel mir einesder Gedichte im Looking Glass wieder ein – eines von den beiden, die nicht mit Rose’ Traumbeschreibungen übereinstimmten: Diesmal klopfst du an seine Tür ... / mit Obstbäumen und Sonnenschein / und Kindern in Kitteln, die lächelnde Löwen streicheln.
    »Warst du in der Klinik, als er den Unfall hatte?«, fragte ich meine Mutter. »Als er eingeliefert wurde?«
    »Nein, zum Glück nicht. Nach dem, was Ruth Hemsworth erzählt hat, muss es entsetzlich gewesen sein. Er war ziemlich lange bewusstlos, und seine Mutter hat geschrien, als sie kam und ...«
    »Schon gut«, bremste ich sie, denn mehr wollte ich nicht hören.
    Ich fragte mich, ob Mrs. Hemsworth zu der Zeit viel über Brians Unfall geredet hatte. Mir kam es im Nachhinein nämlich so vor, als hätte Charlotte häufig davon gesprochen, auf ihre typisch morbide Art – zumindest, bis Rose verschwand.
    »Alles in Ordnung, Nora?«
    Ich versuchte, im Kopf die Zeilen des Gedichts durchzugehen, bekam sie allerdings nicht mehr Wort für Wort zusammen. Dabei hatte ich wohl so lange geschwiegen, dass meine Mutter ihre Frage wiederholte.
    »Ja«, versicherte ich ihr. »Alles bestens.«
    Nachdem wir uns verabschiedet hatten und

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