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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
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fortfuhr, »nur zu. Wenn du partout diese Geschichte, die du selbst erst seit zehn Minuten kennst, in deine mit reinziehen willst, dann geh zu Dr. Petroff, und erzähl ihm alles, was ich dir gerade gesagt habe. Deshalb habe ich es dir erzählt, damit du für dich entscheiden kannst, was er wissen soll und was nicht.«
    Ich schaute sie an, und in diesem Moment hasste ich einfach alles an ihr. Ich hasste es, wie ihr Haar mit den grauen Strähnen ewig in die falsche Richtung abstand, sich nie richtig unten einrollte. Ich hasste die sichtbaren Poren auf ihrer Nase und die Art, wie ihre Lippen zuckten, wenn sie versuchte, mich zur Vernunft zu bringen. Ich hasste, was sie aus ihrem Leben gemacht hatte. Und ich hasste es, wie diese Worte aus ihrem Mund kamen, nach säuerlichem Atem und Kaffee stinkend und vermengt mit diesem fauligen Alte-Frauen-Geruch, den sie bereits entwickelte.
    »Ähm ... okay«, sagte ich misstrauisch.
    »Aber bevor du dich entscheidest, Schätzchen ...« Und ihr »Schätzchen« klang nicht liebevoll, sondern verächtlich. Sie sprach es so aus, wie sie es benutzte, wenn sich andere Autofahrerinnen blöde verhielten. (Willst du jetzt abbiegen oder nicht, Schätzchen?) »Bevor du dich entscheidest, möchte ich dir noch etwas sagen. Es tut mir leid, dass ich es nicht kommen sah, und es tut mir leid, dass ich es nicht verstehe.«
    Sie griff nach meiner Hand, doch ich zog sie weg und schaute mich wieder in dem Café um. Doch meine Mutter redete einfach weiter.
    »Falls es irgendwelche Sachen gibt, die wir ändern müssen, damit du dich besser fühlst, können wir das tun. Aber! Aber ich möchte, dass du heute Abend auf die Station zurückgehst und dich dort gründlich umsiehst. Sieh dir die Leute dort an. Sieh dir auch die Leute an, die dafür bezahlt werden, dass sie sich um sie kümmern. Das kannst du für den Rest deines Lebens haben, wenn du willst. Die Tabletten und die Gruppentherapie. Ich weiß nicht, ob dein Vater eine Wahl hatte, aber ich glaube, du hast sie. Und falls ich mich irren sollte, vergib mir.«
    Ich begann, winzige Krümel vom Rand meines Styroporbechers abzupulen, und mied ihren Blick. Aber sie streckte einen Arm aus und hob mein Kinn mit einem gekrümmten Finger nach oben.
    »Du, mein Schatz, hast eine Wahl, da bin ich mir sicher. Du kannst dir von ihnen erzählen lassen, dass du sie brauchst, um so leben zu können wie jeder andere. Aber sie kennen dich erst seit zehn Tagen! Ich habe dein ganzes Leben lang für dich gesorgt und dich aufmerksam beobachtet – aufmerksamer, als es dir bewusst sein dürfte. Und du magst vielleicht nicht die glücklichste oder berechenbarste junge Frau sein, die ich kenne, aber ich weiß, dass dir nichts fehlt.«
    Und ich hasste sie dafür, dass sie »Frau« sagte, als hätten wir biologisch etwas gemein. Ich hasste es, dass sie mir im Grunde erklärte, ich sei normal, obwohl sie den Ausdruck nicht benutzte. Es war, als wollte sie mir klarmachen, dass sie besser als der Rest der Welt wusste, wer ich war. Als wäre dies hier ein Spiel, bei dem sie mir überlegen war, allen überlegen war, und das sie gewinnen würde.
    Schweigend tranken wir unsere Schokolade aus. Danach brachte sie mich zurück, und ich biss die Zähne zusammen,als sie mich umarmte, während schon der Summer ging, der die Tür für mich öffnete.
    Keine achtundvierzig Stunden später wurde ich entlassen. Dr. Petroff erfuhr nie von meinem Vater. Zwar hasste ich meine Mutter dafür, dass sie mir das alles aufgebürdet hatte, aber irgendwie schien es mir nicht die angemessene Rache zu sein, ihm alles zu erzählen. Nachdem meine Mutter die Papiere an der Aufnahme unterschrieben hatte, gingen wir gemeinsam auf die großen Glasschiebetüren zu.
    »Was hast du da?«, fragte sie und zeigte auf die weiße Plastiktüte, die an meinem Arm hing. Sie war voller kleiner Tuben mit Shampoo und Handlotion, die wir auf der Station bekommen hatten. Bei den wenigen Malen, die ich in einem Hotel übernachtet hatte, hatte ich es stets lustig gefunden, diese kleinen Sachen mitzunehmen.
    Ich öffnete die Tüte und ließ sie hineinsehen.
    »Die brauchen wir nicht«, bestimmte sie.
    Dann nahm sie mir die Tüte ab und stopfte sie in den silbernen Abfalleimer am Ausgang. Die Türen glitten auf, und sie bedeutete mir mit einem Wink, als Erste hinauszugehen.
    Aber jetzt und hier war nichts mehr übrig von jenen Tagen. Ich rollte mich zusammen und kniff die Augen zu. Nichts, außer einer schwachen Duftnote aus den

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