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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
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glaube, ich verstehe es. Man versucht es so halb und will sehen, wie die anderen reagieren.«
    »Du denkst, dass es das war, worum es mir ging?«
    »Ja. Schließlich bist du noch hier, hab ich recht?«
    »Hör auf«, rief ich und schob seine Arme weg. »Du kapierst gar nichts!«
    »Okay.« Er wich zurück. »Was ist los?«
    »Weiß ich nicht.«
    Minutenlang lagen wir uns gegenüber, ohne einander anzufassen.
    »Ich verstehe es trotzdem. Ich verstehe, dass etwas an einem nagt und nagt. Lange und langsam, bis man keine Ahnung mehr hat, wie zum Teufel man es loswerden soll.«
    » An einem nagt? «, wiederholte ich beleidigt. Seine prosaische Wortwahl ließ meinen sehr ernsten Nervenzusammenbruch lächerlich aussehen. Nicht einmal meine Mutter redete so darüber. » An einem NAGT ? «
    »Ähm, na ja.« Toby sah mich nervös an, als hätte er es miteiner Irren zu tun. »Ähm, das habe ich wohl gesagt. An einem nagt .«
    Er legte wieder seine Hand auf meinen Rücken und zog mich näher an sich heran. Nun fühlte er sich wärmer an als vorher. Er begann sogar, ein bisschen zu schwitzen. »Ich glaube, wir kennen das beide. Wir beide wissen, wie das ist.«
    Und in dem Augenblick, in dem er das sagte, war mir, als würde ich den vertrauten Geruch an ihm wahrnehmen, nach Mottenkugeln oder Affen oder beidem. Erneut schob ich seine Hand weg. Dies hier war Toby, wurde mir plötzlich bewusst. Toby mit dem blöden Lachen. Toby, dessen starke Hand mich jederzeit zurück in den Abgrund meiner jämmerlichen Kindheit in Waverly ziehen konnte, der ich soeben erst zu entkommen begann. Willentlich oder nicht: Seine Hand wollte mich zurück in eine Dunkelheit zerren, der ich wahrscheinlich kein zweites Mal würde entfliehen können.
    »Willst du mich nicht fragen, was ich gemeint habe?«, fragte er ein bisschen flehend. »Ich denke, dass du weißt, worüber ich rede.«
    »Nein, das weiß ich nicht. Und ich würde es sicher auch nicht verstehen. Jeder denkt, wenn man still ist, sei man auch nett und sensibel. Oder wenn man verkorkst ist, verstehe man automatisch die Probleme anderer. Tja, aber das stimmt nicht!«
    Ich kletterte aus dem Bett.
    Toby setzte sich auf und starrte mich an. »Was ist denn los? Willst du mich jetzt einfach so sitzen lassen?«
    »Ich glaube, ich möchte das hier nicht.«
    »Wir müssen gar nichts machen. Wer hat denn gesagt, dass wir irgendetwas machen müssen?«
    »Ich muss jetzt nach Hause.«
    »Ich habe nie etwas von dir verlangt. Du weißt, dass ich das nicht tun würde. Ich will nur reden.«
    »Und ich will nicht darüber reden – über die Pillen und die Klinik.« Was gelogen war, denn ich war seltsam erleichtert gewesen, als er mich gefragt hatte. Schon seit langer Zeit hatte ich mir gewünscht, dass mich jemand alles erklären lassen würde, richtig erklären. Aber vor lauter Panik fiel mir keine bessere Ausrede ein.
    »Wir müssen ja nicht darüber reden. Entschuldige. Bleib hier, Nora. Bitte bleib!«
    Nervös schlackerte ich mit beiden Händen wie jemand, der Wasser abschüttelt. »Ich kann nicht, Toby, ehrlich nicht.«
    Noch während ich das sagte, merkte ich, dass ich es war, die den Tränen nahe war, nicht er. Und ich war es schon die ganze Zeit über gewesen. Voller Scham ging ich rückwärts zur Tür.
    Toby versuchte, meine Hände zu greifen. »Das ist okay, Nora. Ich fass dich nicht an. Bitte bleib!«
    »Ich kann nicht«, wiederholte ich. »Zwing mich nicht hierzubleiben.«
    Toby nahm seine Hände herunter. »Das würde ich nie tun. So was mache ich nicht.«
    »Okay«, sagte ich und schnappte mir meine alberne schwarze Satintasche. Blöder Abschlussball, blöde Abendkleidung! Wieso hatte ich mich nur auf diesen Mist eingelassen?
    Eilig griff ich mir meine Schuhe und rannte die Treppe hinunter. Ich hielt die schwarzen Pumps an meine Brust gepresst, als ich den Hügel hinunterlief, und zog sie erst kurz vor Mrs. Crowes Haus wieder an. Sämtliche Lichter waren aus, aber lieber wollte ich alle mit dem Geklacker meiner Absätze wecken, als weiter auf Strümpfen zu laufen, denn dadurch fühlte ich mich nur noch verzweifelter.
    Niemand wurde wach. Drinnen warf ich mich auf mein Bett, glotzte an die Decke und wünschte mir inständig, dass es bald, sehr bald September werden würde und ich dieses Zimmer und diese Stadt für immer verlassen könnte. Mit eingeschalteter Zimmerbeleuchtung und immer noch in meinem Ballkleid schlief ich ein.

Vierzehn

    25. Mai 2006
    Ganz zu Anfang sprachen Sally und ich eine

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