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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
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dem Kompliment leicht nach oben verzogen. In dem Moment kam ich mir lächerlich vor, weil ich sie hierhergeholt hatte, weil ich diese nette Frau in meine immer noch andauernde Highschool-Neurose hineinzog – und in die Lügen, mit deren Hilfe ich mein Gesicht wahren wollte. Ja, wir hatten vor zehn Jahren gemeinsam vor Bunsenbrennern gehockt – na und? Fast jeder saß irgendwann mit irgendwem vor einem Bunsenbrenner. Ich hätte einfach irgendjemand sein können; sie hätte einfach irgendjemand sein können. Diese Zufälligkeit des Zusammensitzens war heute besonders peinlich, weil ich diejenige war, die dieses Wiedersehen erzwungen hatte.
    »Es war bloß eine alberne Sache zwischen Charlotte und mir«, entschuldigte ich mich. »Es tut mir leid.«
    »Du musst dich nicht entschuldigen.« Sally neigte wieder den Kopf zur Seite und lächelte verhalten. »Und, nein, ich war das nicht.«
    »Okay.«
    »Das muss ja ein ziemlich eindrucksvolles Gedicht gewesen sein, wenn ihr zwei euch immer noch fragt, wer es geschrieben hat. Was sagtest du noch, in welchem Jahr es abgedruckt wurde?«
    »Als wir in der Mittelstufe waren«, antwortete ich. »Lange her. Wirklich, es war nur so eine Frage, die uns beschäftigt hat, eigentlich albern ...«
    »Ach, das ist schon okay. Aber jetzt bin ich neugierig. Worum ging es denn in dem Gedicht?«
    »Oh ... es handelt sich nicht bloß um ein Gedicht, sondern gleich um mehrere. Sie sind ziemlich abstrakt, fast wie Rätsel. Und alle anonym.«
    »Hast du vor, noch jemanden zu kontaktieren?«, fragte Sally. »Irgendwelche Ideen? Rob Fishkin konnte zum Beispiel gut schreiben. Habt ihr ihn gefragt?«
    »Ähm ... nein, noch nicht. Vielleicht fragt Charlotte ihn noch«, erwiderte ich rasch.
    Sally nahm ihren Caramel-Latte in die Hand und trank einen Schluck. »Mmm«, machte sie und stellte den Becher ab. »Ich bin froh, dass wir uns hier getroffen haben. Ich liebe dieses Zeug.«
    »Also ... wie hast du deinen Mann kennengelernt?«, fragte ich in der Hoffnung, wenigstens den Rest der Unterhaltung ins aktuelle Jahrzehnt zu lenken.
    »Er ist Tierarzt«, antwortete Sally. »Dort, wo ich arbeite.«
    Ich nickte, und sie fragte mich nach meinem Mann. Dann verabschiedeten wir uns.
Spiritismus
Dezember 1990
    Charlottes Dad war sauer. Charlotte hatte mal wieder vergessen, den Mülltonnendeckel mit den Spanngummis festzuzurren, und nun hatten sich Hunde über die Tonnen hergemacht und den Müll im ganzen Garten verteilt.
    »Du gehst da raus und machst alles sauber«, befahl er ihr, als er nach Hause kam. »Bist du etwa einfach an dem Chaos vorbeigelatscht, als du vom Schulbus kamst?«
    »Weiß ich doch nicht«, entgegnete Charlotte mürrisch.
    »Tja, dann räumst du eben jetzt alles zusammen.«
    »Okay«, sagte sie und drehte sich zu mir um. »Komm mit.«
    Ich stand auf. Das hier wäre bereits das zweite Mal, dass Charlotte und ich durchnässte Papiertücher und Hähnchenknochen aus dem toten Gras rupfen mussten, bis unsere Finger vom Wind kalt und taub wären.
    »Was heißt hier ›komm mit‹?«, fragte Mr. Hemsworth streng. »Der Müll ist deine Sache. Nora muss dir nicht helfen, wenn sie nicht will, ist das klar, Nora?«
    Ich hasste es, wenn Erwachsene das taten – mich zwangen, zwischen dem Respekt vor ihnen und der Loyalität meiner Freundin gegenüber zu entscheiden. Darauf gab es nie eine richtige Antwort. Also nickte ich nur andeutungsweise und schwieg.
    Charlotte verdrehte die Augen und stampfte aus dem Zimmer. Eigentlich war ich froh, sie los zu sein. Sie hatte schon wieder von Psychometrie geredet. Diesmal schlug sie vor, dass wir die Becher benutzten, von denen sie sicher war, dass Rose mal aus ihnen getrunken hatte. Doch zum Glück war Charlottes Vater früh nach Hause gekommen. Trotzdem ahnte ich bereits, dass sie bald von mir verlangen würde, mir einen »Bester Papa der Welt«-Becher gegen die Stirn zu drücken.
    Ich brauchte etwas, womit ich sie ablenken – oder sie zur Vernunft bringen – konnte. Sie musste doch begreifen, dass dieses Spiel keinen Spaß mehr machte. Und wahrscheinlich würde alles noch schlimmer ausgehen, als wir beide es uns ausmalten.
    Mein Blick fiel auf die schwarzen Bücher, die auf dem Teppich verteilt lagen. Wenn ich ihr die Sache ausreden wollte, musste ich es auf eine Art und Weise tun, die sie verstand, und vielleicht konnte mir eines ihrer Bücher dabei helfen. Ich ging die Bände durch und sortierte die aus, die mit Geistern und Toten zu tun hatten: Unheimliche

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