Rosenrot
ziemlich liederliche Herodes feiert seinen Geburtstag, und da ›tanzte die Tochter der Herodias vor ihnen. Das gefiel Herodes wohl. Darum verhieß er ihr mit einem Eide, er wollte ihr geben, was sie fordern würde. Und wie sie zuvor von ihrer Mutter angestiftet war, sprach sie: Gib mir her auf einer Schüssel das Haupt Johannes des Täufers! Und der König ward traurig; doch um des Eides willen und derer, die mit ihm zu Tisch saßen, befahl er’s ihr zu geben. Und schickte hin und enthauptete Johannes im Gefängnis. Und sein Haupt ward hergetragen auf einer Schüssel und dem Mädchen gegeben; und sie brachte es ihrer Mutter. Da kamen seine Jünger und nahmen seinen Leib und begruben ihn und kamen und verkündigten das Jesu.‹
Worum ging es hier? War der Zusammenhang wichtig?
Paul betrachtete Kerstin. Er dachte darüber nach, wie sie früher zusammen gearbeitet hatten, wie sie sich gegenseitig mit ihren Einfällen befruchtet und sie weitergetrieben hatten. Jetzt fühlte er sich steril. Und er sah, dass sie es auch war. Sie konnte sich nicht konzentrieren. Sie war nur eine Richtung, eine Bewegung. Und die war aufgehalten.
Ihre frühere Zusammenarbeit... Ein früherer Fall drängte plötzlich in sein Bewusstsein. Der Name Orpheus tauchte in seinem Kopf auf. Er kam aus dem schwierigen Fall mit dem Totschläger vom Kvarnen.
Orpheus, der von den thrakischen Bacchantinnen in Stücke gerissen wird.
Orpheus, dessen Kopf weitersingt. Nachdem er abgeschlagen ist.
War nicht das dass Wichtige an dem Zitat Johannes des Täufers? Dass er sprach, war wichtiger als das, was er sagte? Und eine starke Betonung der Enthauptung. Was bedeutete dieser Zusammenhang?
Wo sprach der Enthauptete?
Wo ertönte Carl-Ivar Skarlanders Stimme? Wie konnte sie nach der Enthauptung weitertönen?
»Kerstin«, sagte er. »Wach auf jetzt. Das Tonband. Die Stimme, die allem Anschein nach Skarlanders war. Das ist die Stimme des Enthaupteten. Deshalb haben wir zwei Zitate des enthaupteten Johannes des Täufers. Stimmenproben des Enthaupteten. Menschenskind. Wo hat Carl-Ivar Skarlander gesprochen? Wo kann seine Stimme weitersprechen?«
Kerstin blickte auf. Ihr Blick veränderte sich.
»Wo das Tonbandgerät war«, sagte sie und stand auf. »Gewerbegebiet Ulvsunda. Wo ich schon einmal seine Anwesenheit gespürt habe. Ich war überzeugt davon, dass er mich da und dort töten würde.«
»Nilssons Lackierwerkstatt«, nickte Hjelm und stürzte fort zu Hultins Zimmer.
»Nilssons Lackierwerkstatt«, wiederholte er vor seinem Kommissar.
»Geht‘s auch etwas ausführlicher?« fragte sein Kommissar.
Es ging. Hultin saß eine Weile da und sah aus, als wäre er in Trance gefallen.
Dann sagte er: »Okay. Einen Versuch ist es wert. Nimm alle mit. Aber vorsichtig. Ich komme nach. Ich hole nur Grundström.«
Sie fuhren. Draußen schien die Sonne. Es war Viertel nach zwei, als die Wagen das Polizeipräsidium verließen und zum Gewerbegebiet Ulvsunda brausten.
Die Halle sah aus wie vorher, vielleicht noch eine Spur trauriger gegen einen völlig unerwarteten Sonnenschein. Das Tor hing noch immer schief. Nichts schien seit langer, langer Zeit von Menschenhand berührt worden zu sein.
Im Wagen hatte Kerstin eine Skizze der Halle angefertigt. Sie war als einzige schon vorher hier gewesen. Sogar zweimal. Sie versuchte, nichts zu vergessen. Der Weg in die große Werkstatthalle. Die Reihe großer Fenster oben unter der Decke.
Darunter der wie ein nach innen gewendeter Balkon um die ganze Halle führende Absatz. Die Reihe von Bürotüren, die man von dem Absatz aus erreichte. Sie erinnerte sich an mindestens zehn Türen.
Und jetzt das schiefe Tor, das man etwas auseinander stemmen musste, um einzutreten. Das Tor zum Totenreich. Zuerst Hjelm, dann Holm, dahinter Nyberg, Norlander, Svenhagen, Chavez, Söderstedt. Alle.
Die offene Werkstatthalle war in Licht getaucht. Ein paradoxes Licht. Alles, was vorher vor Feuchtigkeit getrieft hatte, wirkte jetzt vollkommen trocken. Die Taube saß an der schweren Kette, die von der Decke herabhing. Sie rührte sich nicht vom Fleck.
Sie waren an der Treppe angelangt. Die Eisenstufen waren trocken. Als wäre seit Jahrzehnten kein Regen gefallen. Sie stiegen nach oben.
Hjelm erreichte den Absatz als erster. Er betrachtete die Türen. All das zerbrochene Glas. An der Tür, die ihm am nächsten war, ein wenig geronnenes Blut. Kerstins Blut. Das war ihm klar.
Sie folgten, einer nach dem anderen. Sammelten sich. Gruppierten sich,
Weitere Kostenlose Bücher