Rosenrot
wusste Lövgren nichts von den Verbrechen. Vielleicht glaubte er, Lundmarks Besuch mit dem Sohn wäre rein freundschaftlich. Ich glaube, Lundmark hat Lövgren erst ganz zuletzt ermordet. Vielleicht saß Anders schon im Wagen und wartete, als er es tat.«
»Und weshalb?« sagte Gunnar Nyberg. »Weshalb ihn töten? Es ist doch ganz klar, dass Lövgren ihm geholfen hat. Er machte mit seiner alten Polaroidkamera das fröhliche Bild von Vater und Sohn und hinterließ seinen Daumen als extra Sonnenuntergang auf dem Bild. Bevor er zu ihnen kam, hatten sie schon eine Woche in der Hütte gewohnt. Es war alles voller Spielsachen.«
»Als sie nach Ljusterö kamen, war er also nicht da«, sagte Hultin. »Da hat er gearbeitet. Und anzunehmen, dass ein Kriminalkommissar sich so ohne weiteres zum Mitwisser mehrerer Morde machen ließe, ist ziemlich starker Tobak. Etwas sagt mir, dass er beigetragen hat, ohne etwas über den Stand der Dinge zu wissen. Er fand sie in seiner Hütte. Möglicherweise wusste Lundmark, dass er Ferien haben und in die Hütte kommen würde. Möglicherweise hat er ihn nur als Aufpasser für das Kind benutzt.«
»Können wir mit den Zitaten weitermachen?« fragte Chavez ungeduldig.
»Okay«, sagte Hultin.
»Diese vier Namen standen also auf der einen Seite des Zettels in Victor Lövgrens Hand. Auf der anderen waren zwei Zitate: Das erste: ›Ihr Otterngezüchte, wer hat denn euch gewiesen, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?‹ Das schließt an die beiden früheren Zitate an, die in Carl-Ivar Skarlanders Hals steckten. Da war viel die Rede von der Zeit des Zorns.«
»Das ist also aus Matthäus drei?« sagte Gunnar Nyberg und kam sich vor wie ein fleißiger Konfirmand.
»Ja.«
»Wenn«, fuhr Nyberg fort und warf einen raschen Blick auf Kerstin Holm, »wenn wir annehmen, dass dieses ›Otterngezüchte‹ nichts mit Kindern zu tun hat – worauf bezieht es sich dann? Über das Motiv ›Zeit des 2orns‹ hinaus. Ist er wirklich so einfallslos?«
»Ich habe bei Otterngezüchte gar nicht an Kinder gedacht«, sagte Viggo Norlander. »Heißt es dann nicht anders? Schlangenbrut?«
»Genau«, sagte Hultin und warf einen ähnlichen Blick in Holms Richtung. »Die Drohung gilt kaum einem Kind. Sondern uns allen, Gottes unzüchtigen Kindern.«
»Und das andere?« fragte Hjelm. »›Es ist nicht recht, dass du sie habest.‹ Das klingt ja eher harmlos. Ganz was anderes als die ›Zeit des Zorns‹. Das ist also auch aus dem Neuen Testament?«
»Das steht auch bei Matthäus«, bestätigte Chavez. »Etwas später, im vierzehnten Kapitel. Die beiden Matthäus-Zitate können natürlich zusammen gelesen werden. Dann läuft es ungefähr darauf hinaus, dass die Zeit des Zorns kommen wird, weil ihr zusammengelebt habt, obwohl es nicht recht war. Dann klingt es so, als handelte es sich um eine Art Verbot für die Beziehung von Kerstin und Lundmark. Kann er das meinen? Ist ›du‹ dann er selbst? ›Es ist nicht recht, dass du sie habest.‹ Warum sollte es nicht recht sein?«
»Weil Vergewaltigung nicht erlaubt ist«, sagte Kerstin Holm.
Eine bemerkenswerte Stille entstand in der Kampfleitzentrale. Die Blicke gingen in ihre Richtung, wenn auch ein wenig verlegen, unstet. Als sei es schwer, ihrem Blick zu begegnen.
»So kann es sein«, sagte Paul Hjelm. »Denn wer war es, der zuließ, dass es weiterging? Wer war es, der die ganze Zeit einsprang und den alkoholisierten und empathiegestörten Wahnsinnigen ›rettete‹? Ja, der Badmintonpartner Victor Lövgren.
Kriminalkommissar Victor Lövgren. Hätte er das Problem zu einem früheren Zeitpunkt angepackt, wäre alles einfacher zu lösen gewesen. Und Kerstin wäre jenes letzte schlimme Jahr erspart geblieben.«
»Aber dann macht die ›Zeit des Zorns‹ immerhin einen gewissen Sinn«, sagte Chavez. »Während der Behandlung in Rudhagen sieht Dag Lundmark ein, dass er Kerstin tatsächlich vergewaltigt hat. Es kann eigentlich kein Hass sein, den er erlebt, eher Selbstverachtung. Ja, okay: Selbsthass.«
»Andrerseits stand er stark unter dem Einfluss experimenteller Drogen«, sagte Nyberg. »Und ich weiß, was nichtzugelassene Präparate für Wirkungen haben können, das könnt ihr mir glauben.«
»Sie schaffen möglicherweise auch Augenblicke vorübergehender Klarheit«, sagte Arto Söderstedt zögernd. »Vielleicht war es ein solcher Moment, den er an jenem Apriltag zusammen mit Ola Ragnarsson in der Bibliothek von Rudhagen erlebte. Als sich plötzlich
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