Rosenrot
täglich anfasst. Wenn du willst, kannst du hinfahren, aber ich glaube nicht, dass es etwas bringt.«
»Er hat also eine falsche Adresse angegeben?«
»Oder er hat einfach vergessen zu sagen, dass er zwei Adressen hat. Vielleicht ist er bei einem Kumpel eingezogen oder, ja, bei einer Frau. Heutzutage ist ja nicht mehr die Adresse wichtig, sondern die Handynummer. Die haben wir angerufen. Er scheint sein Handy abgeschaltet zu haben. Rudhagen haben wir auch kontaktiert.«
»Rudhagen?«
»Rudhagens Klinik in Mälardalen. In der Nähe von Eskilstuna anscheinend. Da war er zum Entzug. Keiner hatte etwas von ihm gehört. Er hatte dort die gleiche Adresse hinterlassen. Hotel Siebenstern in Huddinge.«
»Also ist er wirklich verschwunden?«
»Ja«, sagte Hultin und betrachtete sie aufmerksam. »Mir ist eine Sache durch den Kopf gegangen, Kerstin. Du könntest in Gefahr sein. Willst du, dass wir dir jemand zur Seite stellen?«
»Ich habe auch schon daran gedacht. Aber ich glaube es nicht. Ich hatte während des Verhörs nicht diesen Eindruck.«
»Aber es war anderseits ein ziemlich fragwürdiges Verhör. Ich habe es mir noch einmal angesehen. DVD, du weißt. Er ist vollkommen ungreifbar. Er scheint mehr auf Paul anzusprechen als auf seine Exverlobte. Das ist schon ein wenig seltsam.«
»Es ist möglich, dass ich für ihn gar nicht existiere. Für ihn zählen nur Männer.«
»Denk auf jeden Fall mal über das mit der Begleitung nach.«
»Slksdjgopdfoijoboubdfofvvfdod!«
»Sony«, sagte Roger Rikardsson. »Falscher Filter.«
Und da zeigte Kerstin Holms zurückgespultes Band die oststaatenartige Wandbekleidung einer Zahnarztpraxis. Ein Schreibtisch blockierte den Weg zu den Behandlungsräumen. Dahinter saß eine massige Empfangsschwester und wirkte unerhört grimmig. Als spielte sie eine Rolle in einer Satire über grimmige Empfangsschwestern. Von der Subtilität einer Neujahrsrevue.
»Sie brauchen doch nur das Buch aufzuschlagen und nachzusehen«, sagte Kerstin.
»Ganz so einfach ist es nicht«, sagte die Empfangsschwester. »Wir unterliegen strengster Schweigepflicht. Sonst können wir Probleme mit dem Ethikausschuss bekommen.«
»Was glauben Sie eigentlich? Dass wir Geständnisse erzwingen, indem wir in den freigelegten Zahnhälsen Verdächtiger herumstochern?«
»Woher soll ich wissen, dass Sie von der Polizei sind. Sie sehen nicht aus wie von der Polizei.«
»Dies hier ist ein echter Polizeiausweis. Er gilt in ganz Schweden, außer bei Ihnen. Könnten Sie mir erklären, warum nicht?«
Kerstin Holm fühlte sich zu diesem Zeitpunkt ziemlich erschöpft. Sie hatte andere Sorgen. Sie schnappte sich das Terminbuch, sauste in die Toilette und schloss hinter sich ab. Begleitet von hammergleichen Schlägen gegen die Tür, las sie die Termine von Montag, dem dritten September, fünfzehn Uhr. Kein Dag Lundmark. Sie musste mit dem Zahnarzt selbst sprechen. Hoffentlich hatte er inzwischen aufgehört zu bohren.
Sie öffnete die Tür. Hinter der massigen Empfangsschwester, die inzwischen eine reichlich demolierte Schreibtischlampe in der Hand hielt, war ein kleiner grauer Herr im weißen Kittel zu sehen. Die Sprechstundenhilfe riss das Buch an sich, ließ die Lampe fallen und kehrte zum Schreibtisch zurück. Sie legte das Terminbuch an seinen Platz, 14,3 Zentimeter von der oberen Schreibtischkante, 6,43 Zentimeter von der linken Kante entfernt. Der kleine graue Herr hob die demolierte Schreibtischlampe vom Boden auf, betrachtete die Dellen in der Toilettentür und lächelte dünn.
Dies war offenbar sein Alltag.
»Sind Sie Doktor Algot Strääf«, fragte Kerstin ziemlich brüsk.
Der kleine Graue fuhr zurück. »Ja«, sagte er.
»Sind Sie Dag Lundmarks Zahnarzt?«
»Dag Lundmark... Warten Sie. Aus Göteborg? Polizeibeamter?«
»Richtig.«
»Ja«, sagte Algot Strääf.
»Ich habe im Terminbuch gesehen, dass er letzten Montag keinen Termin bei Ihnen hatte. War er Montag gegen drei Uhr bei Ihnen?«
»Nein«, sagte Strääf. »Er ist erst einmal hier gewesen, und zwar im Frühsommer. Keine Löcher. Tadelloses Gebiss.«
»Danke«, sagte Kerstin Holm.
»Jetzt werden wir‘s sehen«, sagte Roger Rikardsson. »Gleich haben wir‘s. Ich spule nur noch einmal zurück.«
Kerstin tat wiederum das gleiche. Jetzt war sie auf der Wache in Flemingsberg. Ihr gegenüber, auf der anderen Seite des Schreibtischs, saß ein sehr müder Mann in den Fünfzigern. Sein Name war Lubbe. Hinter diesem originellen Pseudonym verbarg sich
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