Rosenrot
internationalen Interessen habe ich ‚96 abgewickelt und bin in eine mehr bürgerliche Existenz eingetreten. Ich habe eine Frau getroffen, habe jetzt zwei Kinder und wohne auf Värmdö. Worum geht es hier eigentlich? Soweit ich verstehe, sind Sie nicht von der Wirtschaftspolizei?«
»Wir interessieren uns für Ola Ragnarsson«, sagte Söderstedt wenig informativ. »Sie haben ihn also seit 1984 nicht mehr gesehen? Und auch nichts von ihm gehört?«
»Nein. Tatsächlich nicht. Er hat sich in Luft aufgelöst.«
»Beschreiben Sie Ola Ragnarsson, so gut Sie können.«
Lars Rundqvist überlegte zum ersten Mal einen Moment. »Jung, vor allem«, sagte er ein wenig zögernd. »Jung und geldgeil. Ich fühlte mich immer alt neben ihm. Eine unglaubliche Energie. Aber auch eine – heute, mit ein wenig Lebenserfahrung, würde ich es als Verletzlichkeit bezeichnen. Als ob er bewusst blindlings vorwärtsgerast wäre. Um dieser Verletzlichkeit zu entkommen. Wenn das verständlich ist.«
Arto Söderstedt betrachtete den durchtrainierten Banker und sah einen intelligenten und sensiblen Menschen hinter der notwendigen äußeren Fassade. Und wie gewöhnlich bereitete es ihm Vergnügen, mit seinen eigenen Vorurteilen konfrontiert zu werden. Er sagte: »Also war Ola Ragnarsson von Ihnen beiden die treibende Kraft?«
»Ja, ganz eindeutig. Was ich noch besitze von meinem Vermögen – und ich muss sagen, dass in den Finanzkrächen der
frühen neunziger Jahre ein großer Teil den Bach runterging –, das habe ich Ola Ragnarsson zu verdanken. Das vergisst man nicht.«
»Und doch haben Sie nie Kontakt zu ihm aufgenommen. Sie haben sich in den fast zwanzig Jahren keine Sekunde gefragt, was aus ihm geworden ist.«
Rundqvist senkte den Blick auf den Tisch und schüttelte den Kopf. »Er ist tot, nicht wahr? Wie ist er gestorben?«
»Er hat sich das Leben genommen. Und hat einen ziemlich spannenden Selbstmordbrief hinterlassen.«
»Pfui Teufel. Wieso spannend?«
»Darauf kann ich nicht näher eingehen. Aber es ist sehr wichtig, dass Sie versuchen, sich ins Jahr 1984 zurückzuversetzen. Was war geschehen, dass Ragnarsson sich aus der Finanzwelt zurückzog?«
Lars Rundqvist rieb sich die Stirn. Antifalten-Make-up bröselte zwischen seinen Fingern.
Nein, dachte Arto Söderstedt und schlug sich auf die Finger. Schluss damit.
»Ich bin darin geschult, nach vorn zu blicken, nicht zurück«, sagte Rundqvist. »Es ist schwierig. Wenn ein Ergebnis erzielt ist, blickt man vorwärts auf das nächste und lässt das alte hinter sich zurück.«
»Wir blicken nur zurück«, sagte Viggo Norlander plötzlich. »So erreichen wir unsere Ziele. Zurück, um vorwärts zu kommen. Wie kann man ohne Geschichte vorwärtskommen?«
Söderstedt betrachtete seinen Würstchenbudenkollegen und spürte amüsiert, wie sich noch mehr Vorurteile einstellten, um ihn zu verhöhnen. Es war eine spezielle Form von Masochismus.
Rundqvist hingegen nickte nur. »Das ist vollkommen richtig«, sagte er. »Ich habe inzwischen eingesehen, was mir auf meiner Jagd durchs Leben entgangen ist. Ich will es nachzuholen versuchen.«
Eine gute Minute war es vollkommen still.
»1982 war unser großes Jahr«, begann Rundqvist leise. »Im Frühjahr ‚83 geschah etwas. Ola veränderte sich. Ich begriff nicht, was es war, ich war mitten im Gewimmel, da merkt man nicht viel anderes. Wenn ich jetzt darauf zurückblicke und es mit reiferen Augen betrachte, ist es ja glasklar. Er war verliebt. Es war Liebe. Er bewegte sich langsamer. Diese Verletzlichkeit hatte ihn eingeholt. Er war immer weniger Geschäftsmann.«
»Eine Frau?« fragte Söderstedt.
Rundqvist nickte. »Ich habe sie getroffen. Ich habe sie mehrmals getroffen und nicht begriffen, was los war.«
»Kennen Sie ihren Namen?« fragte Norlander.
»Daran versuche ich mich gerade zu erinnern. Zu der Zeit war unser Hauptbüro in Monaco. Wir wohnten in Monte Carlo und in Georgetown auf den Cayman Islands. Pendelten. Ich bin ziemlich sicher, dass sie aus Monaco war. Auf jeden Fall Französin. Claudine. Claudme hieß sie. Dunkle Schönheit. Sie waren ein ungleiches Paar. Es hätte nicht gehalten. Ich erinnere mich an ein Gefühl, dass sie wegen des Geldes bei ihm war. Besonders gut sah er nicht aus, der arme Ola. Ich glaube, in der Schule war er gemobbt worden. Er kam aus irgendeinem Vorort. Vallentuna, glaube ich. Davor lief er weg. Vor seiner Verletzlichkeit.«
Arto Söderstedt atmete kaum. Ola Ragnarsson hatte nur im Ausland
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