Rosenrot
Verwaltungsarbeit war. Aber natürlich lockte Paris.
Das Leben ... Wie es sich dahinschleppte. All die Versuche, sich dem, tja, dem Sinn des Lebens ein wenig zu nähern. Hatten sie eigentlich zu etwas geführt? Die Musik, die Kunst, die Literatur? Er fand nur, dass die Fragen mehr und mehr wurden.
Aber das war es vielleicht, was Reife ausmachte.
Er nahm einen ordentlichen Schluck Whisky.
Curriculum vitae. Die Vita, wie es im Berufsleben hieß. Lebensbeschreibung, Lebenslauf. Machte nicht viel her bei ihm. Vage Konturen. Die vereinzelten Lichtpunkte des Lebenslaufs würden in der Lebensbeschreibung kaum angebracht sein; es waren zwei völlig verschiedene Dinge. Lichtpunkte: eine Anzahl von Augenblicken zusammen mit seiner Frau Cilla, Dannes und Tovas Geburt, ihr Heranwachsen zu Individuen, die Dämmerungen beim Sommerhaus draußen in Dalarö, die Lektüre von Kafka und Rilke, die Offenbarung, als er Faulkners und Claude Simons Romanen begegnete, die Dramen des Aschylos, Ovids Metamorphosen, John Coltranes Saxophonimprovisationen, Miles Davis‘ Kind of Blue, Thelonius Monks Misterioso, Bachs H-Moll-Messe, Mozarts Requiem, ein seltsam heroisches Geiseldrama in Hallunda, die Festnahme des Machtmörders, das Einkreisen des Kentuckymörders, ein paar der Erlebnisse um den Drogenkönig Rajko Nedic und die Rätsel im Zusammenhang mit dem emeritierten Professor Leonard Sheinkman. Sowie ein paar Momente zusammen mit Jorge Chavez und Kerstin Holm.
Kerstin, ja. Kerstin, Kerstin. Was war eigentlich mit ihr los? Wie hart hatte sie der Fall mit Dag Lundmark ganz im Innersten mitgenommen?
›Wenn es passiert, dann lass mich nicht im Stich.‹
Und der mental behinderte Paul Hjelm hatte nicht verstanden, hatte unbeholfen dagestanden wie ein Kind vor dem Schlafzimmer der Eltern. ›Es‹, was für ein ›es‹? Wenn was passierte?
Was waren das für Teile ihres Lebens, die ihm so fremd waren?
Aber im Stich lassen würde er sie nicht. Falls er es nicht bereits getan hatte.
Er hatte sie verlassen und war zu einem ganz anderen Fall übergegangen. Das Wüten des potentiellen Serienmörders
Ola Ragnarsson in Schonen. Sara Svenhagen war mit dem Nachtzug nach Hause gefahren. Er hatte es übernommen, das schonische Material zusammenzutragen. So wie es nun vorlag.
Paul Hjelm warf die Bewerbungspapiere zu Boden, setzte sich im Schneidersitz aufs Bett, nahm einen weiteren großen Schluck Cragganmore und zog das ›schonische Material‹ näher heran.
Sie hatten nachgeprüft, wie es sich mit der Reise der Familie Sjöberg verhielt. Konnte man tatsächlich eine Griechenlandreise buchen und dann nicht erscheinen, ohne dass jemand sich die Mühe machte, mal nachzufragen? Doch, doch, das ging ganz ausgezeichnet, wie sich herausstellte. Nachdem sie es bei zahlreichen Reisebüros versucht hatten, fanden sie schließlich das richtige. Ein Unternehmen namens Glücksreisen in Lund hatte der Familie für die fragliche Zeit eine Reise verkauft. Nach Paros auf den Kykladen. Der Angestellte zog die Worte genüsslich in die Länge – als wollte er sagen: Ja, ich habe eine Menge zu verbergen.
Hjelm stieß zu: »Was passierte mit ihrem Zimmer?«
»Ich verstehe nicht richtig.«
»Max, Rigmor und Anders Sjöberg sind am Flughafen Kastrup nicht rechtzeitig erschienen. Was haben Sie da gemacht?«
»Wir können doch nicht die Verantwortung dafür übernehmen, dass alle mitkommen. Am Flugplatz kontrollieren wir nicht.«
»Aber doch bei der Ankunft in Paros? Sie müssen ja ein Zimmer gebucht haben.«
»Wir haben es anderweitig vermietet. Man kann in der Hochsaison ja kein Zimmer leer stehen lassen.«
»Statt nachzuprüfen, was mit der Familie los war, haben Sie also ein bisschen zusätzliches Geld eingenommen, indem Sie ihr Zimmer vermieteten?«
Eine Weile war es still am anderen Ende. Dann sagte der Angestellte: »Das ist das übliche Verfahren.«
Währenddessen rief Sara Svenhagen bei der Firma Bondejouren AB an. Sie bekam den Geschäftsführer an den Apparat.
»Was ist Bondejouren?« fragte sie einleitend.
»Eine verflixt gute Idee«, erwiderte der Geschäftsführer in kräftigem Malmöer Tonfall. »Landwirte können keinen Urlaub machen – das war seit ewigen Zeiten die Regel. Man kann Tiere und Land nicht einfach sich selbst überlassen. Sie bedürfen täglicher Pflege. Wie viele der heutigen Landwirte haben diesen Zustand nicht gründlich satt? Und da kommen wir ins Bild. Wenn eine Landwirtsfamilie ein paar Wochen ausspannen will, nehmen
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