Rosenrot
wir uns in der Zwischenzeit des Hofs an. Wir sind ein paar Stunden täglich da und erledigen das Notwendigste. Basisservice.«
»Läuft es gut?«
»Es läuft sogar verflixt gut«, sagte der Geschäftsführer stolz. »Wir expandieren ständig. Es sieht so aus, als hätten wir die perfekte Nische gefunden.«
»Sie haben zwei Wochen lang den Hof von Max und Rigmor Sjöberg bei Anderslöv versorgt, nicht wahr?«
»Ich sehe mal nach. (Blätter, blätter.) Ja, das ist richtig. Ziemlich unproblematisch, zwanzig Kühe, der Weizen für dies Jahr schon geerntet. Eine gute Stunde täglich. Melken, die Milch abliefern, die Kühe und Katzen füttern. Das war‘s. Und morgen ist es vorbei. Da kommt die Familie zurück.«
»Sind Sie auch im Wohnhaus gewesen?«
»Einen Moment, da muss ich nachfragen.«
Der Geschäftsführer verschwand und kam nach ein paar Minuten zurück. »Nein«, sagte er. »Dafür war keine Veranlassung. Jonas und Hasse haben den Job gemacht. Es war alles im Stall. Worum geht es denn?«
»Sie müssen den Vertrag wohl um eine Woche verlängern«, sagte Sara Svenhagen. »Die Familie Sjöberg kommt nicht zurück.«
Anschließend fuhren sie zum Hof der Sjöbergs. Der Besitz erstreckte sich über die regenschwere Ebene. Die Äcker lagen brach. Die Ernte war schon eingebracht. Und die Familie Sjö- berg hatte nach Jahren ununterbrochener Schufterei ihren wohlverdienten Urlaub nehmen wollen. Statt dessen – was? Wie war Ola Ragnarsson vorgegangen? Warum ausgerechnet die Familie Sjöberg? Ein kleines Bauernehepaar auf dem schonischen Flachland, das wahrscheinlich keiner Fliege je etwas zuleide getan hatte und seinen Sohn über alles liebte. Der Selbstmordbrief gab darüber keine Auskunft. War es reiner Zufall? Waren sie Ola Ragnarsson auf seinem Heimweg von einer routinemäßigen Mordreise in Europa einfach nur über den Weg gelaufen? Der Hof lag ja nicht direkt an einer Durchgangsstraße.
Es war stockdunkel, als Hjelm und Svenhagen auf dem Hof ankamen. Kommissar Sten Johansson fuhr sie in seinem privaten Volvo, ein Streifenwagen folgte ihnen. Es war acht Uhr am Abend, und der Regen prügelte weiter unablässig auf die verschlammte Landschaft ein.
»Wir sind bald durch«, sagte Sten Johansson, als sie den Kiesweg zum Wohnhaus hinauffuhren. »Unsere Männer sind auf dem letzten der denkbaren Äcker. Nichts.«
Sara Svenhagen sah zu ihm auf. Mit dumpfer Stimme sagte sie: »›Ich erinnere mich nicht mehr, denn das Gift beginnt zu wirken, wie viele es sind. Aber holt sie heraus. Sie verdienen etwas Besseres«
Sten Johansson starrte sie erschrocken an und wäre beinah in ein Blumenbeet gefahren.
»Das ist ein Zitat«, erklärte sie. »Aus Ola Ragnarssons Selbstmordbrief. Er weiß nicht einmal, wie viele er hier draußen vergraben hat. Er weiß nicht, ob er ein Kind ermordet hat.«
Denn eigentlich ging es hier nur noch um eine einzige Sache.
Ein Kind fehlte.
Ein Siebenjähriger mit Namen Anders Sjöberg.
Unmittelbar vor dem Haus stand ein alter Saab in der Kiesauffahrt. Sie verschafften sich Zugang zum Haus; ein Kollege
von der Besatzung des Streifenwagens öffnete das Schloss mit verdächtig geübten Fingern mit Hilfe eines Dietrichs.
Die Koffer standen im Hausflur. Eine hauchdünne Staubschicht darauf. Sie hatten zwei Wochen hier gestanden. Es war nicht zur Griechenlandreise gekommen. Statt dessen hatte die Familie Sjöberg aus Anderslöv eine ganz andere Reise angetreten.
Paul Hjelm strich mit seiner gummibehandschuhten Hand über einen kleinen Kinderkoffer, betrachtete die Finger und sagte: »Alles war zur Abfahrt bereit. Sie müssen genau in dem Moment überrascht worden sein, als sie die Koffer zum Wagen tragen wollten. Der Flug sollte um 11.45 Uhr von Kastrup abgehen. Zwei Stunden vorher soll man da sein. Über die Öresundbrücke dauert es höchstens eine Stunde nach Kastrup. Sie müssen also am Donnerstagmorgen angegriffen worden sein. Donnerstag, den dreiundzwanzigsten August gegen 8.30 Uhr am Vormittag. Und keine Spuren eines Kampfes.«
Sie wanderten durchs Haus. Eine ganz normale schwedische Wohnungseinrichtung. Und ein ganz normales schwedisches Kinderzimmer. Paul und Sara trafen in dem aufgeräumten Kinderzimmer im Obergeschoss zusammen. Das einzige, was nicht ganz ordentlich war, war ein etwas nachlässig aus dem Apparat herausgezogenes Videospiel.
»Die Mutter hat das Zimmer aufgeräumt«, sagte Sara. »Während er darauf wartete, dass alles fertig war, saß er hier oben und spielte
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