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Rosenrot

Titel: Rosenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Gärungsprozesse den Körper zersetzen. Verwesung ist ein ganz anderer Prozess, der dadurch entsteht, dass Bakterien das Gewebe auflösen. Ein anderer sehr wichtiger Teil des Zersetzungsprozesses sind die Insekten, die die Biomasse dadurch reduzieren, dass sie das Gewebe fressen. Die Insekten, die man in einem toten Körper antreffen kann, werden je nach ihrer ökologischen Rolle in verschiedene Gruppen eingeteilt. Arten, die sich von totem Gewebe ernähren, werden Nekrophagen genannt. Andere Insekten sind Parasiten oder Predatoren, die direkt vom Körper leben. Wiederum andere, wie beispielsweise Wespen und Ameisen, sind Omnivoren und können entweder den Körper oder andere Insekten fressen. Sie fressen alles. Diese verschiedenen Insektenarten ziehen unterschiedliche Zersetzungsstadien vor und rinden sich deshalb zu verschiedenen Zeitpunkten am Körper ein. An den zwei ersten Tagen findet keine Verwesung statt. Die Zersetzung hat jedoch von innen heraus begonnen. Die ersten Schmeißfliegen (Calliphoridae) treffen in diesem Stadium ein und legen ihre Eier vor allem in die Körperöffnungen des Gesichts oder in eventuelle Wunden. Danach folgt ein Stadium mit mäßiger Verwesung, bis zu ungefähr zwölf Tagen. Der Körper ist jetzt von Gasen aufgebläht. Es entsteht ein deutlicher Geruch von verfaulendem Fleisch. Jetzt erscheinen Fleischfliegen (Sarcophagidae) und Hausfliegen (Muscidae). Die ersten Käfer tauchen ebenfalls auf, wie Aaskäfer (Silphiadae) und Kurzflügler (Staphylinidae). Zwischen den Tagen zwölf und zwanzig haben wir dann ein Stadium von ausgeprägter Verwesung. Das Fleisch hat eine cremige Konsistenz angenommen. Gewisse exponierte Teile sind schwarz geworden. Es kommt zu einem äußerst starken Verwesungsgeruch. Fliegenlarven finden sich häufig in sehr reichlichen Mengen. Käferlarven beginnen im Körper aufzutreten. Schließlich haben wir das Stadium schwerer Verwesung, bis zu vierzig Tagen. Der Körper beginnt auszutrocknen. Große Partien der Weichteile sind aufgrund der Aktivität der Fliegenlarven verschwunden. Ein süßer Geruch strömt vom Körper aus, ungefähr wie Käse. Die Schmeißfliegenlarven verschwinden. Statt dessen treten andere Fliegen auf, zum Beispiel Piophiliden. Zwischen vierzig und fünfzig Tage nach Eintritt des Todes setzt das Stadium der Skelettierung ein. Käfer, besonders Cleridae und Nitiduliae, können in großen Mengen auftreten. Die Piophiliden sind noch im Knochenmark.«
    »Das ist ja richtig angenehm zu hören, so vor dem Zubettgehen«, sagte Paul Hjelm neutral.
    Nils Krogh fuhr ebenso neutral fort: »Man kann das Vorhandensein der Insekten in zweierlei Weise nutzen. Teils sehen, welche Insekten da sind, teils das Alter der Insektenstadien bestimmen, die am Körper anzutreffen sind.«
    »Ich nehme an, es gibt auch eine Pointe?« sagte Hjelm.
    »Die Menge von Fliegenlarven deutet an, dass seit dem Tod des Ehepaars Sjöberg mindestens zwölf Tage vergangen sind.«
    »Das hättest du gleich sagen können.«
    »Das wäre aber nicht so lehrreich gewesen.«
    »Wie wahr. Aber auf welche Weise sie gestorben sind, kannst du noch nicht sagen?«
    »Nein, noch nicht. Die Obduktion machen wir morgen früh. Jetzt habe ich mir nur das üppige Tierleben angeschaut.«
    »Du könntest eine ordentliche ärztliche Untersuchung brauchen.«
    »Dafür ist es viel zu spät«, sagte Nils Krogh und verabschiedete sich.
    Paul Hjelm begann seine Beine zu spüren. Sie lagen wie zwei Pfähle vor ihm auf dem Bett. Ein aggressives Stechen setzte ein. Er dachte an Myiasis. Also das Phänomen, dass mehrere Schmeißfliegenarten ihre Eier auch in lebende Menschen legen können.
    Doch das war nicht unbedingt sein eigener Gedanke.
    Sobald es möglich war, schüttelte er die Beine. Er hörte die Larven darin rascheln. Bald würden sie austreten und wie ein Bienenschwarm über Europa fliegen.
    Oder so.
    Er langte zum Nachttisch hinüber und zog eine Klarsichthülle mit gelochtem Rand heran. Allerdings war die Öffnung verschlossen. In der Hülle lag ein abgerissener Zettel, zerflossene Buchstaben darauf. Man hatte ihn in Max Sjöbergs Brieftasche gefunden. Nach zwölf Tagen im Boden.
    Vielleicht war der Text jetzt ein wenig deutlicher, weil sein Blick unklarer geworden war. Als wäre der Text einem todmüden Blick angepasst. Einem Blick, der sich wider besseres Wissen weigerte zu schlafen.
    Es war ein etwa zehn mal zehn Zentimeter großer Zettel mit einem zerlaufenen Tintentext. Eindeutig Tinte, kein

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