Rosenrot
(sie ließ das Play-Station-Laufwerk aufgleiten und sah auf die Diskette) Crash Bandicoot. Da geschah etwas. Er lief aus dem Zimmer und ließ alles liegen. Obwohl die Mutter ihm gesagt hatte, dass er das Spiel wieder ordentlich ins Regal zurückstellen müsste, wenn er fertig wäre.«
»Ist es hier im Haus geschehen?« fragte Hjelm. »Waren die Eltern schon tot, als Anders herunterkam? Wurde er auch sofort getötet?«
»Auch wenn wir nicht genau wissen, wie sie gestorben sind, so deutet doch eine ganze Menge darauf hin«, sagte Sara. »Ola Ragnarsson fuhr direkt nach Stockholm, wurde von Ekel über sein widerwärtiges Dasein gepackt und nahm sich das Leben. Er wird wohl kaum ein Kind bei sich gehabt haben.«
»Er hat die Eltern zu einem Acker ein paar Kilometer entfernt transportiert. Er muss einen Wagen gehabt haben. Hatte Ragnarsson einen? Hast du in den letzten Tagen mit Jorge gesprochen?«
»Ja. Von einem Wagen hat er nichts gesagt. Also, es war ein Donnerstagmorgen gegen Ende des Sommers. Der Acker draußen bei Grönby liegt zwar brach, aber bei Tageslicht zwei Leichen dort zu vergraben, das kommt mir undenkbar vor. Es ist ja nicht direkt eine Einöde. Es ist Schonen, nicht Lappland. Die Höfe liegen dicht beieinander, viele Menschen haben dort zu tun. Er muss bis zur Nacht gewartet haben.«
»Ja«, nickte Paul und hielt eine heftig zerkuschelte Stoffkatze in die Höhe. »Ragnarsson fährt mitten in der Nacht die Eltern, gut verpackt in Plastiksäcken, auf einen brachliegenden Acker hinaus. Weiß er das? Weiß er, dass es ein Acker ist, der nicht angerührt wird? Aber vor allem: Wo ist Anders währenddessen? Wird seine Leiche woandershin gebracht? Oder – lebt er noch? Ist er aufgespart worden, um irgendwo unterwegs ermordet zu werden? Ein grässlicher Gedanke: Stell dir vor, es ist gar nicht die Tatsache, dass Ragnarsson zum ersten Mal in Schweden gemordet hat, die ihn in den Selbstmord treibt. Stell dir vor, es ist die Tatsache, dass er eine neue Art von Verbrechen begangen hat.«
»Sag so etwas nicht«, sagte Sara Svenhagen. »Ich will da nicht wieder hin.«
Doch Paul Hjelms Gedanken waren schonungslos: »Stell dir vor, er hat seiner umfangreichen Liste von Untaten die Pädophilie hinzugefügt. Stell dir vor, er nutzt die Rückreise nach Stockholm, um sich an dem siebenjährigen Anders Sjöberg zu vergreifen, der mit ansehen musste, wie seine Eltern ermordet wurden? Schließlich bringt er ihn um und wirft ihn unterwegs irgendwo aus dem Wagen.«
Es wurde still im Kinderzimmer. Im Aquarium lagen ein paar kaum noch erkennbare Plättchen mit Fischfutter. Sie waren fast aufgefressen, die Fische schienen zu plätschern, um Aufmerksamkeit zu erregen. Oder sie fraßen sich gegenseitig. Sara trat ans Aquarium und dröselte ein wenig Fischfutter hinein. Die Fische stürzten sich auf die kleinen Flocken.
»Puhh«, sagte sie.
Paul Hjelm war wieder auf seinem Hotelbett. Die Beine waren im Schneidersitz eingeschlafen und ließen sich nicht bewegen. Er saß wie in einem Schraubstock. Er trank einen weiteren Schluck Whisky, um seinem gebrechlichen Körper Mut einzuflößen. Dann nahm er seine ganze Kraft zusammen. Die Beine lösten sich unter heftigem Schmerz. Er fühlte sich alt.
Der Tag war mit einer eigentümlichen Vorlesung von Gerichtsmediziner Nils Krogh zu Ende gegangen. Er stand in einer Gasse und sah verdächtig aus, als Sara und Paul die Polizeiwache in Trelleborg verließen, um zum Cronia Bed & Breakfast in der Järnvägsgata hinüberzuschlendern. Er fing sie ab wie ein Geheimagent kurz hinter dem Checkpoint Charlie – mit hochgeschlagenem Mantelkragen, und sogar eine filterlose Zigarette wurde vor ihren Füßen auf dem Asphalt zertreten. Ohne überflüssige Begrüßungsphrasen zischte Nils Krogh: »Verwesung, eile, o herzliebe Braut.«
Hjelm konnte der Versuchung nicht widerstehen und fuhr fort: »Unser einsames Lager zu richten.«
Krogh blinzelte ihn schräg von unten an und sagte: »Von der Welt verstoßen und verstoßen von Gott.«
Worauf Hjelm fortfuhr: »Nur auf dich will mein Hoffen ich richten.«
Sara Svenhagen sagte: »Lasst schon gut sein.«
»Tatsache ist«, sagte Krogh ernst, »dass die Verwesung eilen kann. Aber eben so gut kann sie sich viel Zeit nehmen. In diesem Falle hat sie sich beeilt. Wenn ein Mensch stirbt, beginnt ein Zerfallsprozess, der teilweise auf Autolyse und teilweise
auf Verwesung beruht. Autolyse bedeutet, dass körpereigene Enzyme und natürliche biochemische
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