Rosenschmerz (German Edition)
zum Himmel hinauf. Eine weiße Wolke aus
Atemluft hatte sich vor ihrem Mund gebildet, als zur selben Sekunde der
Sperrriegel zurückgeschoben wurde und die Tür aufging.
Ah – ah – ah, machte die Tür.
Die beiden von der Kripo. Ottakring und … und …
»Chili Toledo. Alles klar, Frau Silbernagl? Wie fühlen Sie sich?«
Wie sollte sie sich schon fühlen. Hinterfotzigs Weiberleit,
hinterfotzigs. Ein ganzes Wochenende schon in diesem Loch mit der Aussicht auf
weitere Tage. Unter Mordverdacht. Eine Insassin war sie. Eine Zellenfrau. Dass
die beiden hier waren, konnte kein gutes Zeichen sein. Kathi bemühte sich,
ruhig zu bleiben und sich nichts anmerken zu lassen, auch wenn sie am liebsten
laut schreiend durch die immer noch offene Tür gelaufen wäre.
»Hier«, sagte die Toledo. Sie schmiss die Tür mit dem Hinterteil zu,
trat vor und streckte ihr einen Brief entgegen. »Wissen Sie, wo der her ist?«
Sie hatten den Brief gefunden. Also kannten sie auch das Versteck
bei Charly. Also hatten sie auch den Rechner entdeckt und konnten praktisch
alles über sie herausfinden. Sie fühlte sich wie eine Delinquentin vor der
Hinrichtung.
Der Mann hielt sich im Hintergrund. Was Kathi wunderte, denn er war
doch der Boss. Was führten sie Schräges im Schild?
Kathi wollte um alles in der Welt cool bleiben. Obwohl sie merkte,
wie ihr der Schweiß durch alle Poren drang. »Ey. Wo habt ihr den Brief her?«
Das oberbayrische Plural-Sie zu verwenden war ihr in Fleisch und Blut
übergegangen.
»Aus deiner Wohnung«, sagte Chili und verbesserte gleich. »Aus Ihrer
Wohnung.«
»Stimmt nicht«, rief Kathi energisch. »Da hab ich keine Briefe.«
Ottakring trat vor. »Richtig. Dort ist ja auch kein Computer. Aber
wir meinen Ihre Wohnung bei Professor Morlock.«
Also lag sie richtig. Sie waren bei Charly gewesen. Katharina
Silbernagls Mund und Augen wurden hart. »Ich sag nichts mehr. Nichts mehr ohne
einen Anwalt.« Abrupt wandte sie sich um.
Sie sah nicht, wie Chili Ottakring ansah und die Schultern zuckte.
Sie sah nicht, wie Ottakring hinter ihrem Rücken eine aufmunternde
Rechte schlug.
»Ey. Ihr Zimmer bei Morlock«, sagte der Mann. »Ihre Zweitwohnung. Da
gibt’s nichts dran zu rütteln. Ein Verhältnis mit einem Fachhochschulprofessor
zu haben ist ja nicht strafbar. Aber wenn er Ihnen die Miete für Ihre Wohnung
am Ludwigsplatz bezahlt und es in seiner eigenen Wohnung ein Geheimzimmer für
Sie gibt … finden Sie nicht auch, dass das etwas viel auf einmal ist? Wir
werden auch noch herausfinden, was sich da alles auf Ihrem Computer befindet.
Und … was diesen Brief betrifft … der stammt nicht zufällig aus
Kohlstattberg?«
Sein Blick war aus Stahl. Ließ kein Leugnen zu. Sie waren auf der
Spur des Briefs.
»Wie gesagt. Nicht ohne Anwalt.«
»Also haben Sie Dreck am Stecken.« Die Toledo stand plötzlich eine
halbe Ellbogenlänge von ihr entfernt. Kathi mochte das nicht. Sie brauchte
Abstand.
»Warum sind Sie überhaupt durchgebrannt? Sie waren eindeutig zur
Todeszeit Kirchbichlers in der Nähe der Sauna. Und plötzlich verschwunden. Dann
haben wir Sie schließlich bei Ihrem Onkel ausgegraben.« Die Kommissarin
streckte den Zeigefinger vor. »Warum sind Sie eigentlich nicht zu ihrem Vater
geflüchtet?«
Kathi fühlte sich mehr und mehr eingeengt. Es schnürte ihr die Luft
ab. Sie warf die Arme nach vorn und stieß die Kommissarin von sich weg. Etwas
ruppig vielleicht, denn die Frau flog zwei, drei Meter gegen die Zellenwand.
Ottakring sprang vor und riss Kathis Arme auf den Rücken. Handschellen
schnappten.
Federnd stieß Toledo sich von der Wand ab. Eine Hand war
aufgeplatzt. Blut lief über die offene Handfläche. Sie lächelte Kathi an. Dann,
ohne auszuholen, schlug sie Kathi die Hand ins Gesicht. Kathi meinte, feuchtes,
warmes Blut an ihrer Wange zu spüren.
»Entschuldigung«, sagte Toledo mit einem weiteren, etwas
angeschlagenen Lächeln.
»Nix passiert«, sagte Kathi. Die Schadenfreude überwog.
»Na, dann ist ja alles gut«, sagte Ottakring. »Überlegen Sie sich’s,
Katharina. Wir brauchen von Ihnen zweierlei: Erstens wollen wir wissen, welche
Bedeutung dieser Brief hat. Und zweitens eine klare Aussage drüber, warum Sie
den Tatort verlassen haben. Wenn Sie so weit sind, lassen Sie es uns wissen.
Sie wissen ja, wo wir zu erreichen sind. Bis dahin viel Freude in Ihrer
Drittwohnung. Der Haftbefehl reicht länger, als Sie’s aushalten werden.
Absolut.«
Ottakring war schon nahe am Ausgang.
Weitere Kostenlose Bücher