Rosenschmerz (German Edition)
innen heraus
zerfressen hätten. Aus blutunterlaufenen Landstreicheraugen musterte sie Chili.
»Und – wie haben Sie sich das so vorgestellt?«, fragte Chili.
Sie brachte es nicht übers Herz, diese Frau, die ihr vollkommen fremd war, zu
duzen.
»Sabrina«, sagte die andere, »hier ist mein Ausweis. Prüf ihn. Oder
lass ihn prüfen.« Dazu zerrte sie mit zittrigen Fingern einen Umschlag aus
ihrer erheblich in die Jahre gekommenen Handtasche. Dem Umschlag entnahm sie
ein Foto. »Hier. Ein Bild von mir und Torsten aus Flensburger Zeiten.«
Chili nahm das Foto in die Hand und betrachtete es. Vater und Mutter
waren darauf zu erkennen. Aber diese Frau ihr gegenüber …? Doch war das
nicht Beweis genug? Wie sollte die Frau sonst in den Besitz kommen? Am
sichersten wäre natürlich ein DNA -Test. Doch ihr
Gefühl sagte ihr, dass private Dinge nicht zu dienstlichen
Untersuchungsmethoden passten. Am liebsten hätte sie die Frau einfach in den
Arm genommen. Und sich selbst vorgegaukelt, sie sei wirklich ihre Mutter.
»Ich muss weg. Dienstlich. Sie können aber gern solange
hierbleiben«, sagte sie. »Spätestens am Abend bin ich sicher wieder zurück.«
»Nein«, sagte die Frau im Popelinemantel, »ich werd draußen warten.
Irgendwo. Hier drin will ich erst bleiben, wenn du von mir überzeugt bist.«
»Haben Sie Geld? Soll ich Ihnen etwas – leihen?«
Entsetztes Schweigen.
Chili schämte sich fast. »Ich weiß aber nicht, wann ich zurück bin.
Das kann länger dauern. Vielleicht schauen Sie einfach nach, ob Licht brennt.«
Sie unterließ es zu fragen, ob sie ein Handy habe.
Die Frau nickte. »Ich komm schon zurecht«, sagte sie bescheiden.
Chili steckte ihr Mobiltelefon in die Tasche und verließ das Haus.
Vereinzelte Schneeflocken fielen auf die Straße. Obwohl die Wolkendecke vom
Vortag aufgerissen war.
»Sebastian Scholl hat den Voglwirt nie betreten«, rief Eva M.
kurz darauf am Handy an. »Der ist dort völlig unbekannt. Er war nicht nur an
Kirchbichlers Todestag nicht im Hotel. Er scheint das Hotel regelrecht gemieden
zu haben.« Es folgte ein kurzes Rauschen. »Aber wer dort Stammgast ist, ist
Kevin Specht. Er war auch am Nachmittag von Kirchbichlers Tod im Hotel.«
Chili meinte ein albernes Kichern zu hören. Mit dem Zusatz »Na, wie
bin ich?«
*
»Erpressung? Ich?«, sagte Paul Silbernagl mit dem
Gesichtsausdruck eines Engels. Wenn Silbernagl in breiten Chiemgauer Dialekt
verfiel, war er selbst für den Münchener Bayern Ottakring schwer zu verstehen.
Doch jetzt setzte er zu einer Rede an, deren Hochdeutsch einen Preußen vor Neid
hätte erblassen lassen. »Wer soll mich erpressen? Schauen Sie. Erpressung setzt
doch voraus, dass es da was zu holen gibt. Bei mir gäbe es zwar was zu
holen – ein Stück Land, einen Hektar Wald, einen neuen Futtermischwagen.
Aber welcher Erpresser kann damit schon was anfangen? Die wollen doch alle nur
Bargeld. Wenn das stimmt, was man so liest. Ich befind mich zugegebenermaßen
nicht gerade in finanzieller Bedrängnis, verehrter Herr Ottakring. Aber Bargeld
hab i halt koans. Grad für a Stückl Wurscht reichts no, mei Bares. Also?«
Der Kriminalrat Ottakring erhielt von einem Großbauern eine
Lehrstunde in Hochdeutsch und Erpressung! Da schau her. Unrecht hatte
Silbernagl freilich nicht. Und logisch denken konnte er auch, das stand fest.
Das mit dem mangelnden Bargeld wollte Ottakring jedoch für alle Fälle prüfen.
Er schob Silbernagl in seinem Rollstuhl an seinen persönlichen Platz am Tisch
und bedeutete ihm zu warten. Er selbst stolperte hinaus in den breiten Flur mit
den antiken, ausgetretenen Fliesen und griff zum Mobiltelefon.
Im selben Moment, als er Lolas Kurzwahlnummer drückte, erschallte
der Radetzkymarsch.
»Hallo, Liebes?«, rief er.
»Nein, ich bin’s nur«, kam es barsch von der anderen Seite. Etwas zu
tief für Lolas Stimmlage.
»Wer ist da?«
»Schuster. Seit wann sagen Sie ›Liebes‹ zu mir?« Dann rieselten
Eiskörner durch den Hörer.
»Professor Morlock war bei mir. Der Mann hat Einfluss, wissen Sie.
Er hat sich über Ihre Wohnungsdurchsuchung beschwert. Nicht nur, dass Sie
Unordnung gemacht hätten. Es fehlen auch persönliche Sachen. Er will diese
Beschwerde bis zum Präsidenten weitertragen. Er hatte gleich einen Anwalt
dabei. Und der sagt, die Anklage gegen Katharina Silbernagl steht auf tönernen
Füßen. Nirgendwo sei ein Beweis. Er will sie rausholen, der Anwalt, auf jeden
Fall will er sie rausholen.« Er räusperte sich
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