Rosentod: Thriller (German Edition)
Chefinspektorin einen Appetitzügler und wendet sich wieder ihren Unterlagen zu. Die wichtigsten Fakten notiert sie sich stichwortartig auf einen Zettel. Routiniert und genau. Eine Viertelstunde später ist sie fertig. Jetzt legt sie ihre wohlgeformten Beine auf die Tischplatte, nimmt den Telefonhörer zur Hand, fährt mit dem Zeigefinger durch die Windungen des Kabels und wählt. Dabei kneift sie gequält die Augen zusammen und presst die linke Faust gegen die Stirn. Kopfschmerzen. Sie sind ganz schön arg.
„Spärlich. Guten Morgen.“
„Ebenfalls.“ Ist das Fuchs? Scheint so.
„Haben Sie eine Ahnung, wo Weiprecht ist?“
„Steht neben mir. Moment.“
„Guten Morgen.“
„Was liegt an?“
„Das abgängige Mädchen. Sie erinnern sich?“
„Elke Röhm?“
„Ja. Sie liegt nicht im Krankenhaus, oder?”
Weiprecht verneint. Auf unbekannte Patientinnen im Alter der Vermissten ist er bei seinen Anfragen bisher ebenfalls noch nicht gestoßen.
„Gibt es Anzeichen für Selbstmord?“
„Negativ.“
„Was sagt die Mutter?“
„Die schließt das aus. Nette Frau. Ein wenig hysterisch, aber wenn einem das einzige Kind auf und davon geht, ist das ja nicht weiter verwunderlich.“
„Sie glauben, die Kleine ist bloß ausgerissen?“
„Das wäre mein Tipp. Aus einem Gefühl heraus. Die kleine Röhm studiert Metallurgie. Im Augenblick nicht gerade erfolgreich. Da ist man schon einmal frustriert. Verdrossen. Womöglich hat sie jemanden kennengelernt, der ihr die Welt zeigt. Viele junge Leute gehen weg von hier.“
„Interessante Theorie. Gibt es dafür konkrete Anzeichen?“
„Wieso?“
„Weil man als Kriminalbeamter bekanntlich Fakten ermittelt und Geschehnisse anhand dieser Fakten analysiert. Sie scheinen noch nicht viel Brauchbares herausbekommen zu haben.“
„Kann sein. Aber soviel ich weiß, glaubt ja auch der Chef daran, dass die Kleine früher oder später von selbst wieder auftaucht.“
„Alles klar“, murmelt die Chefinspektorin, beißt sich auf die Lippen und legt auf. Sturer Ignorant. Aber sich aufregen bringt nichts. Noch einen laschen Kaffee in der Kantine. Dann eilt sie zu Fuß ins Zentrum.
Es ist kühl und ganz schön dunstig.
Keine anderen Bäume der Stadt haben so weit ausladende und dichte Kronen, wie die Pappeln und Kastanien in der Erzherzog Johann-Straße. Ihre Riesenstämme sind wahre Fluchtpunkte im geschäftigen Treiben. Äste ragen wie Finger mahnend in den Himmel, Krähen tummeln sich zwischen den Blättern, und es riecht nach feuchtem Holz.
Als sie an die Kreuzung mit der Peter Tunner-Straße kommt, kitzelt ein Sonnenstrahl ihre Nase. Herrlich. Möglicherweise wird es ja doch endlich wärmer. Unwillkürlich legt sich ein Lächeln auf Ullas Gesicht. Urlaub wäre jetzt schön. Einfach wegfliegen. Das wird sie sich auf jeden Fall gönnen, sobald sie im neuen Umfeld besser integriert ist.
Das Haus, nach dem sie sucht, findet sie auf der nördlichen Straßenseite, ungefähr 50 Meter vorm Finanzamt. Ein gepflegtes Bauwerk aus dem 19. Jahrhundert mit fünf Etagen. Im Erdgeschoss hat sich ein Rechtsanwalt eingemietet. Rechts neben dem Eingang ein kleines Café, links eine Versicherung. Ulla passiert das hohe Tor aus dunklem Holz und huscht durch den schmalen Innenhof. Linker Hand geht es zur Kanzlei des Strafverteidigers, ein paar Meter weiter führt eine Treppe nach oben. Das Geländer besteht aus Schmiedeeisen, hat einen weiße Anstrich und einen Handlauf aus abgegriffenem, hellem Holz. Aufzug ist hier keiner zu entdecken. Entschlossen macht sich Ulla auf den Weg. Eine knappe Minute später steht sie vor der Wohnung der Röhms in der fünften Etage und läutet.
„Frau Röhm?“
„Wer ist da?“
„Mein Name ist Spärlich. Ich bin Kriminalbeamtin.“
Gleich darauf schwingt die Tür auf.
Eine kühle Begrüßung. Ulla nimmt es gelassen.
Die Frau ist Mitte 50. Eine blasse, eher kleine, fast hager zu nennende Person. Das Gesicht unter den grauen Haaren etwas zu lang geraten und die Lippen schmal, aber da sind diese lebendigen, ausdrucksvollen Augen. Ein Gesicht, das man nicht so schnell vergisst.
„Spärlich heißen Sie? Ich habe Sie nicht erwartet.“ Eine Stimme von unheimlicher Klarheit. Frau Röhm bittet Ulla ins Wohnzimmer. Sie war gerade beim Hausputz. Der Boden ist noch ganz nass.
„Ihre Tochter hat noch nicht angerufen?“, fragt Ulla sanft, als sie einander gegenüber sitzen.
Anna-Maria Röhm schüttelt den Kopf. „Da stimmt etwas nicht“, antwortet
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