Rosentod: Thriller (German Edition)
Aktenkoffer, versperrt ihn und trägt ihn zu seinem schwarzen Jeep Wrangler Rubicon. Zwei Stunden hat er hinter sich gebracht. Was macht er jetzt mit dem Rest der Nacht?
Auf der Heimfahrt fällt ihm Ulla Spärlich ein. Eine schöne Frau. Ruhig durchquert er den Ortsteil Seegraben und fährt vor der Hauptschule eine sanft ansteigende, kurvenreiche Straße zu einer anmutigen Siedlung hoch. Auf der Bergkuppe ist der ganze Talkessel gut zu überblicken. Wenig später ist er daheim.
Bedächtig stellt Maringer sein Auto ab, betritt das Haus, verstaut Pistole und Holster im Wandtresor, holt einen Martini aus der Bar und mischt ihn mit etwas Mineralwasser und viel Eis, ehe er zu Laras Foto geht, das auf der Kommode steht. Was er kann, was er hat und was er ist, verdankt er ihr und ihren an Krebs verstorbenen Eltern, weiß er. Im Guten wie im Bösen. Ein trauriger Blick, ein kurzes Zuprosten und ein herzhafter Schluck.
Jetzt gilt es erst einmal, die Tiere zu füttern. Aufgeteilt in mehrere Aquarien sind seine Fische ja die einzigen Wesen, die noch auf ihn angewiesen sind.
Hätte er sie nicht, wüsste er womöglich gar nicht, wozu es sich noch zu leben lohnte.
***
In allen Werbeprospekten dieselben Zeilen.
Bodenfunde aus der jüngeren Steinzeit beweisen die uralten Wurzeln der Ansiedlung. Die erste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahre 904. Es folgte ein glanzvolles Mittelalter. Auch danach nahm die Bedeutung der Stadt stetig zu. Besondere Erwähnung findet ein Erdbeben, das den Turm an der Waasenbrücke das Dach kostete. Man ersetzte es durch eine Kuppel und bekam damit ein neues Wahrzeichen, den Schwammerlturm. Eine Zeit lang war die Stadt ja sogar Bischofssitz, und die Kirche des Stifts Göss ist immer noch ein Juwel. Dann der Verweis auf den nahen Erzberg, der den wirtschaftlichen Aufschwung der Region vorantrieb. Hammerwerke. Eisenproduktion. Jahrhundertelang. Seit dem 19. Jahrhundert ist die Montanuniversität der ganze Stolz der Stadt. Erwähnenswert auch noch die Kirche Sankt Xaver, sowie das Stahlwerk im Stadtteil Donawitz. Heute ist die Stadt überschaubar, mit überschaubaren Problemen. Ein lebenswerter Ort mit guten Einkaufsmöglichkeiten, viel Kultur und einem breiten Freizeitangebot. Behauptet zumindest der Tourismusverband.
Nachdenklich faltet Ulla Prospekt und Stadtplan zusammen, steckt sie zurück in ihre Handtasche, überquert die Fahrbahn, stellt sich vor den Eingang des Polizeikommissariats und blickt sich um.
Leitendorf. Der Stadtteil existiert seit 1900. Gemeindebauten, ein dem Abriss überlassenes ehemaliges Hallenbad und die Oberlandhalle. Zwei besonders hässliche Komplexe in einer ansonsten eher nichtssagenden Gegend. Und mittendrin das dreigeschossige Polizeizentrum mit einer in altrosa gehaltenen Fassade. Ulla verkneift sich jedes Mal nur mühsam ein Grinsen, wenn sie das Gebäude sieht.
Es ist Dienstag, kurz vor acht, als sie ihre Arbeitsstelle betritt. Im Journaldienstraum ein Geruch nach Mief und Langeweile.
„Guten Morgen.“ Der Kollege antwortet nicht. Er schweigt auch, während sie die Berichte der Nachtstreife liest. Ein trotziges, aggressives Schweigen.
Die ominöse Schlägertruppe war wieder aktiv. Zwei Verletzte. Dazu drei Einbrüche, ein Wohnungsbrand und 16 verhaftete Drogenkonsumenten. Maringers Leute waren wieder sehr aktiv gewesen. Gut gemacht. Zerstreut schließt sie die Mappe und nimmt sie unter den Arm. „Gibt es sonst noch etwas?“, fragt sie.
Wortlos schiebt ihr der Kollege einen Zettel übers Pult und nippt an seiner Kaffeetasse. Die Notiz ist kurz, aber aussagekräftig. Elke Röhm ist noch nicht nach Hause zurückgekehrt.
Die Nachricht geht ihr ziemlich an die Nieren. Wieso? Sie weiß es nicht. Tief einatmen. Der Versuch zu lächeln missglückt. Na, wenn schon. Weiter.
In Ullas Büro stinkt es nach Rauch. Die Putzfrau ist ein Nikotinjunkie. Seufzend verzichtet die Chefinspektorin darauf, die Tür zu schließen, gießt ihre armselige Zimmerlinde, setzt sich und blättert in den Tagesberichten. Dabei fällt ihr plötzlich der letzte Anruf ihres Vaters ein. Ihre Weigerung, mit ihm zu sprechen. Ein paar Stunden später war er tot. Und wie fremd er ihr war, als er im Sarg lag. Mehr Puppe als Mensch. Sie betrachtete ihn mit einer dermaßen eigenartigen Scheu, dass sie beinahe unfähig war, zu trauern. Diese Scheu ist immer noch präsent in ihr. Immer, wenn sie sich seiner erinnert.
Hunger. Sie hat noch nicht gefrühstückt. Mit finsterer Miene schluckt die
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