Rosentod: Thriller (German Edition)
sie nervös. „Glauben Sie mir. Ich spüre das. Es ist wie damals. Wie bei ihrem Vater.“
„Sie sind Witwe?“
„Mein Mann hatte einen Autounfall. Vor zehn Jahren. Er war sofort tot.“
„Und Elke ist ein Einzelkind?“
Die Frau nickt. Ansatzlos übernimmt die Historikerin in Ulla das Kommando. Elke Röhm, geboren im Jänner 1991. In diesem Jahr wurde Kuwait besetzt, der Irak bombardiert und von den Amerikanern erobert. In Moskau putschten die Generäle, Gorbatschow trat zurück, und die Sowjetunion zerbrach. Im Kroatienkrieg tobte die Schlacht um Dubrovnik, in Texas brachte ein Amokläufer 20 Menschen um, und auf den Philippinen brach ein Vulkan aus. Ein Erdbeben in Indien kostete 2.000 Menschen das Leben, in Ägypten ertranken nach einem Schiffsunglück 700 Passagiere, und eine Flutwelle traf Bangladesch. Mehr als 200.000 Tote und über eine halbe Million Obdachlose. Nahe Bangkok stürzte eine Maschine der Lauda-Air ab. Dabei starben 223 Fluggäste.
Kann einem Menschen, der in solche Ereignisse hineingeboren wird, jemals das Glück winken?
Die erste Auskunft, die Ulla gern hätte, betreffe den Studienerfolg der Vermissten, sagt sie.
Der sei gut, erfährt sie von der Mutter. Von Weiprecht hat die Chefinspektorin das genaue Gegenteil gehört. Dem muss sie nachgehen.
Ulla erkundigt sich nach dem Reisepass.
„Der liegt in der Schreibtischlade“, bekommt sie zur Antwort. „Koffer, Reisetaschen und die gesamte Kleidung sind ebenfalls dort, wo sie hingehören. Es fehlt bloß das, was Elke am Leibe getragen hat.“
„Und das wäre?“
„Schwarzer Rock, schwarzes Top, brauner Pullover und schwarze Stiefel. Dazu noch ein blauer Stoffmantel.“
„In welcher Stimmung war sie, als sie wegging?“
„Sie war fröhlich. Zumindest hatte es den Anschein.“
„Und es gab keinen Streit?“
„Zwischen Elke und mir? Wie kommen Sie darauf?“
„Routine. Ihre Tochter mag Sie?“
„Was für eine Frage. Wir hatten Probleme miteinander, als sie 14 war. Die Pubertät. Sie wissen schon. Seither ist alles bestens.“
„Verstehe. Geht sie gern aus?“
„Sie ist jung.“
„Und wohin?“
„Ins Moonlight. Sie kennen die Diskothek?“
Ulla nickt. „Geht sie allein aus, oder mit Freunden?“
„In letzter Zeit eher allein. Ihr Freund hat sie verlassen. Vor einer Woche. Der Junge hat eine andere. Er gestand es Elke, als sie miteinander tanzten.“
Jetzt kann sich Ulla ein Kopfschütteln nicht verkneifen. Trotzdem. Nichts ist unmöglich. Könnte sie bei ihm sein?
Für Anna-Maria Röhm ist das ganz ausgeschlossen.
„Und ein anderer Mann?“
Wieder ein Nein.
So geht Ulla nach und nach alle Möglichkeiten durch, die ihr in den Sinn kommen. Ausspannen bei einer Freundin? Bei Verwandten? Elkes Mutter hat überall längst angerufen. Sogar bei dieser studentischen Verbindung, der ihre Tochter angehört. Alles vergeblich.
„Hat Ihre Tochter einen Führerschein?“
„Ja, aber kein Auto.“
„Könnte es sein, dass sie irgendwo Urlaub macht? Lernpause?“
„Elke ist die Verlässlichkeit in Person. Die läuft nicht weg.“
„Und Liebekummer?“
„Auf gar keinen Fall.“
„Hat sie ihr Mobiltelefon dabei?“
Elkes Mutter nickt. „Nicht nur, dass sie nicht anruft. Sie hebt auch nicht ab. Das ist ja das Problem.“
Für die Chefinspektorin ist es völlig verständlich, dass sich diese Mutter sorgt. Nervös besichtigt sie das Zimmer der Vermissten. Ein sonniger Raum mit zwei großen Fenstern und hellen Möbeln. Keine Bilder, keine Poster, keine Blumen, bloß ein Laptop auf einem penibel aufgeräumten Schreibtisch. Alles in diesem Zimmer scheint seinen festen Platz zu haben.
„Elke ist aber wirklich ordnungsliebend.“
„Ja. Sehr. Und eine gläubige Katholikin.“
„Vielleicht meldet sie sich ja doch noch bis morgen früh“, meint Ulla beschwichtigend, ohne selbst zu glauben, was sie da sagt.
Sie bittet um eine Liste mit den Namen aller Personen, die mit Elke zu tun haben und um ein aktuelles Foto. Eine Portraitaufnahme.
Eine Viertelstunde später hat sie, was sie braucht.
Vom Himmel lacht eine kraftlose Sonne.
Nachdenklich überquert Ulla die Straße, liest den ersten Namen und die Telefonnummer von der Liste ab und ruft an.
„Stadtgemeinde Leoben, Kulturamt. Thomas Groll.“
In kurzen Worten stellt sich Ulla vor und erklärt, worum es geht.
Ein Treffen? Groll hat nichts dagegen. Aber nicht an seinem Arbeitsplatz und auch nicht in dessen Sichtweite. Von wegen schlechter Eindruck und
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