Rosentod: Thriller (German Edition)
fesselte ihn schon in jungen Jahren. Als er heute den Dienstwagen im Parkhaus am Flussufer abstellt, ist ihm fast so, als käme er heim.
Seine Zielperson bewohnt ein Zimmer in der gelben Riesenvilla gegenüber dem Kulturzentrum am Rande der Innenstadt. Zehn Minuten zu Fuß. Maximal.
Sobald er den Stadtkern hinter sich gelassen hat, betritt er eine ruhige Gegend. Hier wohnen betuchte Leute. Rechts der Brucker Schlossberg mit den renovierten Resten einer alten Burg, wo es den ganzen Sommer hindurch Veranstaltungen gibt, und links das Kino und die Stadthalle.
Am Fuß des Bergs ein blauverputztes Haus mit Flachdach und modernem Outfit. Keine 50 Meter davor das gesuchte Gebäude. Der Chefinspektor klingelt. Eine weißhaarige Dame öffnet.
Er suche Kurt Aschenbrenner, sagt Maringer und zeigt ihr seine Dienstmarke.
Polizei? Um Gottes Willen. Es dauert eine Weile, bis sich die betagte Hausbesitzerin beruhigt. Aschenbrenner wohne bei ihr in Untermiete, erzählt sie. Im oberen Stockwerk. Allerdings sei er im Augenblick unterwegs.
„Wo ist der denn beschäftigt?“, bohrt Maringer nach.
„Wieso? Hat er was ausgefressen?“
Der Chefinspektor behilft sich mit einem vielsagenden Achselzucken.
„Der Aschenbrenner hält sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser“, erzählt die Vermieterin. „Jedenfalls arbeitet er ausnahmslos abends. Am Vormittag sitzt er ab und zu im Café Kornmesser am Hauptplatz. Möglich, dass Sie ihn um diese Zeit dort finden.“
Nachdenklich holt Maringer eine Kopie der Strafakte aus seiner Hosentasche, betrachtet das Foto, faltet das Blatt wieder zusammen und steckt es ein.
„Wenn er mit der Polizei Probleme hat, kann er sich gleich eine andere Bleibe suchen“, droht die Alte.
„Ich will dem Mann bloß ein paar Fragen stellen“, beruhigt sie der Chefinspektor. „Im Augenblick liegt nichts gegen ihn vor.“
Sie plaudern noch ein wenig. Ganz entspannt. Aschenbrenner wohne seit vier Monaten hier, erfährt Joe. Er bezahle pünktlich seine Miete, verursache keinen Lärm und bringe keine Frauen mit nach Hause. Ausnahmsweise darf Joe in Begleitung der alten Dame einen Blick in die Wohnung des Vorbestraften werfen. Parkettböden. Alte Möbel. Überraschend gepflegt. Der Chefinspektor hinterlässt der Vermieterin seine Karte, bedankt sich und geht.
Parallel zu einem kleinen Park marschiert er zum Stadtkern. Dann scharf links, weiter zur wuchtigen Stadtpfarrkirche und bergab durch eine enge Gasse. Schon steht Maringer am Hauptplatz.
Der berühmte Brunnen aus schwarzlackiertem Schmiedeeisen ist frisch renoviert. Links davon entdeckt er das Kornmesserhaus, eines der bekanntesten gotischen Gebäude Österreichs, in dem ein ausgezeichnetes Kaffeehaus untergebracht ist. Soeben tritt dort eine Gestalt ins Freie. Groß, blond, mit messerscharfem Kinnbart. Das ist sein Mann. Maringer läuft los.
„Aschenbrenner“, schreit er, als er bis auf zehn Meter heran ist. „Stehenbleiben. Polizei.“
Keine gute Idee. Der Typ saust nämlich sofort los, und er ist verdammt schnell.
„Halt“, bellt Joe, ohne den Flüchtenden damit sonderlich zu beeindrucken. Im Gegenteil. Der Abstand zwischen ihnen wächst, und der Blonde rennt weiter, was das Zeug hält, vorbei an den Statuen der Tratschweiber und an der Pestsäule, über die Fahrbahn am Ende des Platzes und durch eine breite Gasse zur steilen Murtreppe. Mit gut 20 Metern Vorsprung sprintet er über die Stufen nach unten. Maringer hintendrein. Mit pfeifenden Lungen.
Als der Chefinspektor hechelnd am Ende der Treppe anhält und sich umblickt, ist von Aschenbrenner nichts mehr zu sehen. Weiter die Straße hinunter parken Autos. Dahinter zieht sich eine mit Gras und Buschwerk bewachsene Böschung bis zum Fluss.
Weit kann der Kerl ja nicht sein, denkt sich Maringer, zieht seine Waffe, repetiert sie durch und schleicht zu den Parkplätzen. Ringsherum ist alles ruhig. Also geht er hinter den geparkten Fahrzeugen, parallel zur Straße, weiter vor. Als die Alarmanlage des blauen BMW vier Autos vor ihm Radau schlägt, beschleicht ihn ein ungutes Gefühl. Trotzdem huscht er mit angeschlagener Pistole ganz dicht an den Wagen heran. Lauernd. Mit gespitzten Ohren.
Der Tritt von hinten trifft ihn dennoch unerwartet. Er schleudert ihn nach rechts über den Abhang, wobei sich ein Schuss löst. Danach verfehlt Joe zwar zwei Dornenstauden, streift dafür aber einen Baumstumpf, rutscht mit dem Rücken über Schutt, überschlägt sich und stößt sich irgendwo den Kopf
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