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Rosenwahn

Titel: Rosenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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allerdings, wenn Angermüller sich recht erinnerte, schon seit Jahresanfang, hörte er immer wieder den Namen Vanessa. Sobald er aber nachfragte oder eine diesbezügliche Bemerkung machte, wies der junge Kollege alle Spekulationen empört von sich.
    »Jedenfalls wusste der auf alles eine Antwort, der Herr Durgut, und hat uns überhaupt nicht weitergebracht«, wurde Angermüller wieder sachlich. »Ich glaube nicht, dass das Thema mit der geplatzten Hochzeit so schnell und problemlos vom Tisch war, wie er es dargestellt hat. Der ist unter seinen Landsleuten in der Stadt bestimmt ganz bekannt. Ich denke, seine Kunden werden hauptsächlich Türken sein, die zu Besuch in die Heimat fahren und bei denen er wirklich einen Ruf zu verlieren hat. Das hat wohl eher was mit Tradition als mit Religion zu tun. Trotzdem soll Thomas mit den Kollegen vom K5 sprechen, ob Durgut vielleicht in einem dieser religiösen Zirkel verkehrt. Man kann ja nie wissen.«
    »Stimmt. Und sobald der Vater von dem Mädchen wieder zurück ist, nehmen wir uns den auf jeden Fall auch noch vor.«
    »Das machen wir. Und jetzt hab ich Hunger. Wollen wir Mittagspause machen?«
    »Kantine?«
    »Danke, so vergnügungssüchtig bin ich nicht. Ich dachte eher an einen Salat in einem kleinen Bistro oder ein belegtes Baguette oder Bagel oder so was.«
    »Baguette, Bagel«, murrte Jansen. »Gibt’s hier nicht irgendwo was Richtiges zwischen die Kiemen?«
    Angermüller wusste schon, was sein Kollege meinte. Beim Essen zählte für den nämlich zuallererst die Menge, und dieses Bedürfnis zumindest konnte er in der Kantine bestens befriedigen. Dabei war Jansen, der stets in einer engen Jeans, T-Shirt und Lederjacke daherkam, erstaunlich schlank, ja fast dürr. Ansonsten war die Palette seiner bevorzugten Speisen recht übersichtlich: Im Zweifelsfall hatte er immer Appetit auf einen Klops aus durchgedrehtem Fleisch und eine ordentliche Portion Pommes mit Ketchup.
    »Echte Männer brauchen Fleisch«, war einer von Jansens Standardsprüchen. »Und nich son Schietkram wie Antipasti oder Sushi – wenn ich das schon höre!«
    »Ich hab ’ne Idee!«, sagte er erfreut. »Gar nicht weit von hier gibt’s ’nen leckeren Döner. Das passt doch jetzt irgendwie. Ist gleich hier um die Ecke in der Mühlenstraße, wo man sogar draußen sitzen kann.«
    Der Maxidöner mit allen Extras hatte unglaubliche Ausmaße, und ebenso unglaublich war das Tempo, in dem Jansen ihn vertilgte. Angermüller hatte einen Salat mit Schafskäse bestellt, der mit knusprigem, warmem Fladenbrot serviert wurde. Er schob sich unkonzentriert eine Gabel nach der anderen in den Mund und widmete sich nicht mit der ihm sonst eigenen Aufmerksamkeit seinem Essen, denn nicht zuletzt dieser Ort ließ ihn über ein ganz anderes Thema nachdenken.
    Das Personal des Dönerladens bestand ausschließlich aus jungen, deutsch-türkischen Männern. So viele Menschen türkischer Herkunft lebten um ihn herum, aber im Grunde wusste Angermüller nichts über sie, oder besser, man wusste auf beiden Seiten wohl eher wenig voneinander. Deshalb war es auch in einem Fall wie diesem so schwierig, zu einer richtigen Einschätzung zu gelangen. Zu der ohnehin heiklen Situation, fremden Menschen manchmal recht indiskrete Fragen stellen zu müssen, kam hier noch eine ganz spezielle Unsicherheit. Klar gab es diese Fortbildungsseminare für interkulturelle Kompetenz, wo man die Grundregeln des Verhaltens gegenüber Menschen aus anderen Kulturkreisen lernen sollte. Meist blieb jedoch außer bestimmten Höflichkeitsregeln, zum Beispiel in den Wohnungen türkischer Migranten die Schuhe auszuziehen oder eine gewisse Distanz zu muslimischen Frauen zu wahren, nicht viel hängen.
    › Versuchen Sie einfach, nicht immer Ihr mitteleuropäisches Werte- und Weltbild zum Maß aller Dinge zu machen, lernen Sie, sensibel und sachlich mit fremden Kulturen umzugehen, sie einfach als heterogene Gebilde zu sehen, dann haben Sie schon viel gewonnen.‹ Diese Quintessenz hatte die Seminarleiterin ihnen zum Abschluss mit auf den Weg gegeben. Schön formuliert, aber was half einem das bei einer Sibel Durgut oder ihrem Onkel? Angermüller fiel seine Nachbarin ein. Derya war ja auch Türkin, in Istanbul geboren, hier aufgewachsen, und zwischen ihr und den Durguts lagen Welten. Im Übrigen auch zwischen den Spezialitäten, die sie ihn hatte kosten lassen und dem zwar frischen und knackigen, aber ansonsten sehr schlichten Salat auf seinem Teller. Wenigstens hatte

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