Rosenwahn
er auf unkomplizierte Weise seinen Hunger gestillt.
»Hast du eigentlich gestern noch mit Niemann gesprochen, wegen des Durchsuchungsbeschlusses für das Häuschen am See bei Eutin?«, fragte Angermüller seinen Kollegen, der sich mit einer Papierserviette die letzten Spuren Knoblauchsoße vom Mund wischte.
»Ja, hab ich. Ist nicht ganz so einfach, weil es sich ja um eine Erbengemeinschaft handelt, aber Niemann wollte sich drum kümmern.«
»Na, dann schaun wir doch mal, wie weit er gekommen ist. Mittagspause beendet?«
»Du kommst ja wie gerufen, Georg! Da ist ein Anruf zum Fall Durgut«, begrüßte sie Thomas Niemann, als sie kurz darauf den langen Büroflur vom K1 im siebten Stock betraten. »Eine Verwandte des Mädchens ist dran. Ich stell durch.«
Angermüller nickte, ging in sein Büro und nahm das Gespräch entgegen.
»Mein Name ist Emine Erden«, stellte sich die Anruferin vor. »Ich bin die Tante von Meral Durgut.«
»Mein Beileid, Frau Erden. Weshalb rufen Sie uns an?«
»Sie haben meine Nichte gefunden. Ich möchte …« Offensichtlich überwältigten sie ihre Gefühle. Unterdrücktes Weinen war zu hören. Aber sie fasste sich schnell wieder. »Ich habe gerade erfahren, dass Sie Meral gefunden haben. Bitte entschuldigen Sie, aber das ist so schrecklich für mich! Wissen Sie denn schon, wie meine Nichte gestorben ist?«
»Tut mir leid, so weit sind wir noch nicht«, bedauerte Angermüller.
»Das arme Kind! Irgendwie hab ich immer gehofft, sie meldet sich, hat sich nur irgendwo versteckt und taucht auf, wenn noch mehr Zeit vergangen ist. Ich hätte sie hier in München doch sicher unterbringen können!«
»Ach, Sie rufen aus München an?« Angermüller hatte sich gleich über den leichten süddeutschen Akzent der Frau gewundert.
»Ja, ich lebe schon lange hier unten.«
»Wie haben Sie denn erfahren, dass wir Ihre Nichte gefunden haben?«
»Meine Schwägerin hat mich angerufen. Heimlich natürlich.«
»Merals Mutter?«
»Die würde das nie tun! Die ist so verbohrt, für die ist Meral doch schon vor drei Jahren gestorben. Nein, die Frau meines jüngeren Bruders, Volkan Durgut, hat mich angerufen. Sie ist eine gute, herzliche Frau, nur dass sie mein Bruder total im Griff hat. Der ist so ein richtiger Pascha und hält sie wie eine Leibeigene. Es ist wirklich mutig von ihr, dass sie sich bei mir gemeldet hat. Denn wenn Volkan das erfährt …« Die Frau machte eine kurze Pause. »Ich rufe an, weil sich doch jemand um ein Grab für Meral kümmern muss. Meine Nichte war so ein liebes Mädchen. Und so klug und so fleißig. Was hätte nicht alles aus ihr werden können!« Ihre Stimme begann wieder merklich zu schwanken.
»Was haben Sie denn damals gedacht, als Ihre Nichte verschwunden ist?«
»Ach wissen Sie, mir sind immer wieder andere Dinge durch den Kopf gegangen. Ob mein Bruder, Merals Vater, sie in die Türkei hat bringen lassen, ob sie von sich aus geflohen ist. Ich weiß nicht … oder ob sie vielleicht …« Sie brach ab.
»Entschuldigen Sie die Frage, Frau Erden: Aber hätten Sie denn Ihrer Familie auch zugetraut, dass sie dem Mädchen etwas antut?«
Es dauerte einen Moment, bis sie antwortete. »Wissen Sie, als ich mich damals in meinen Mann verliebt habe, da haben meine Brüder auch mir das Leben zur Hölle gemacht. Und wissen Sie warum? Sie hielten es für ihr natürliches Recht, über mein Leben zu bestimmen! Wollten mir einen Ehemann aus der Türkei suchen! Die Eltern meines Mannes sind zwar Türken, aber er ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Sieht zwar aus wie ein Türke, ist aber ein echter Münchener, spricht kaum die Sprache seiner Eltern. Und deshalb sollte ich ihn nicht wiedersehen! Ist das nicht verrückt?« Frau Erden unterbrach sich für einen Moment. »Ich hatte wahnsinnige Angst vor meinen Brüdern. Mein späterer Mann hat mir geholfen, bei Nacht und Nebel aus Lübeck zu …«, sie suchte nach dem richtigen Wort, »zu fliehen, muss man wirklich sagen. Es war eine richtige Flucht! Eine Zeit lang sind wir alle paar Tage an einen anderen Ort gewechselt. Aber die Eltern meines Mannes haben uns zum Glück sehr unterstützt und uns schließlich bei sich aufgenommen.« Wieder machte die Anruferin eine Pause. »Meine Familie hat es dabei belassen, mich zu verstoßen. Ich hatte Glück, wenn Sie so wollen. Seit meiner Flucht damals haben wir so gut wie keinen Kontakt mehr. Ich weiß nicht, ob ich glauben kann, dass sie etwas mit Merals Tod zu tun haben. Ich weiß
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