Rosskur: Ein Allgäu-Krimi
diesmal auch. Die Kollegen in München wussten das und haben die Info gleich an mich weitergeleitet.«
Sie gab den umstehenden Kriminaltechnikern ein Zeichen, woraufhin die Männer die Leiche umdrehten. Das Gesicht des Toten war kein schöner Anblick mehr, an der dünnen Sommerjacke fehlte aber ein Knopf – ein eindeutiger Hinweis, dass es sich um Thomas Ruff handeln musste, denn alle anderen Knöpfe trugen das Motiv mit dem steigenden Pferd, das Hansen schon kannte.
»Wann soll der Mord passiert sein?« Die Rechtsmedizinerin hockte neben der Leiche und sah zu Hansen hoch.
»Am Donnerstag zwischen neunzehn und neunzehn Uhr dreißig soll er von der Lechbrücke geworfen worden sein. Als die Kollegen später am Abend unter der Brücke nachgesehen haben, lag dort kein Toter mehr.«
Sie sah wieder auf das aufgedunsene Gesicht, in dem Verletzungen zu erkennen waren, die gut von einem Sturz aus einigen Metern Höhe stammen konnten.
»Ja, das haut hin. Zwei Tage im Wasser, post mortem – auf den ersten Blick sieht alles so aus, wie man es in einem solchen Fall erwarten würde.«
»Besonders gut versteckt war die Leiche ja nicht«, merkte Kleinauer an. »Fast direkt am Weg, und dann nicht einmal vergraben, sondern nur mit Zweigen bedeckt.«
»Na ja«, sagte Meyer, »nehmen wir mal an, der Tote liegt hier noch ein paar Tage, und es ist schön warm. Dann kann sich das Gesicht … äh … noch etwas entwickeln. Anschließend nimmt jemand die Zweige weg, damit der Tote einfach so auf dem Boden liegt … Das könnte für einen Passanten so wirken, als wäre der Mann gestürzt, aus irgendeinem Grund bewusstlos geworden und anschließend hier im Wasser ertrunken. Allerdings ist es auf jeden Fall stümperhaft gemacht. Ein Toter unter so unklaren Umständen – da gibt es immer eine Obduktion, und dann merkt man auch schnell, dass der Tote kein Wasser in den Atemwegen hatte.«
»Wir suchen also«, fasste Hansen zusammen, »nach einem oder mehreren Tätern, die nicht die Allerhellsten im Verstecken sind – oder einfach schlampig.«
»Ganz genau«, meinte die Rechtsmedizinerin lachend. »So schaut’s aus.«
Kerstin Wontarra war schon der Erste von mehreren Streifenwagen aufgefallen, die in Richtung Steingädele an ihrem Haus vorüberfuhren, und als nach einiger Zeit auch noch ein Leichenwagen folgte, trat sie vors Haus und marschierte in dieselbe Richtung. Dieser Kommissar Hansen, der zusammen mit Freddy Kerricht bei ihr gewesen war, hatte schon am Freitag nach Thomas gefragt – und wenn er seither nicht wieder aufgetaucht war und auch noch ein Toter irgendwo abgeholt wurde …
Nach gut fünf Minuten hatte sie den Feldweg erreicht, der am Moor entlangführte. Noch einmal gut fünf Minuten später konnte sie eines der Trassierbänder sehen, mit der die Polizei auch im Fernsehen immer Tatorte absperrte, und dahinter machten sich mehrere Gestalten in weißen Ganzkörperanzügen auf dem Boden und an einigen Büschen und Bäumen zu schaffen.
»Würden Sie bitte wieder gehen?«
Ein Streifenpolizist war auf die junge Frau aufmerksam geworden, die inzwischen das Absperrband erreicht hatte und fassungslos zu dem Fundort von Thomas Ruffs Leiche hinüberstarrte.
»Bitte gehen Sie«, wiederholte er. »Hier gibt’s nichts zu sehen.«
Sie rührte sich nicht vom Fleck. »Haben Sie Thomas gefunden?«, fragte sie stattdessen. »Ist er tot?«
Der Beamte erschrak, als er begriff, wen er da vermutlich vor sich hatte – entweder Ruffs Ehefrau oder, so hübsch und jung, wie sie war, eher seine Freundin. Er wurde unsicher, sah sich hilfesuchend um, und als er Kerricht sichtete, winkte er ihn heran.
»Freddy«, sagte sie, als dieser die Absperrung erreicht hatte, »du musst mich durchlassen! Erklär deinem Kollegen, wer ich bin, ich muss da hin!«
»Ganz ruhig, Kessie«, redete Kerricht in sanftem Tonfall auf sie ein und schlüpfte unter dem Trassierband durch.
»Wie soll ich denn da ruhig bleiben? Da vorne liegt Thomas, und ich will jetzt zu ihm, sofort!«
»Es ist noch gar nicht sicher, dass es sich wirklich um Thomas handelt«, versuchte Kerricht sie zu beruhigen. Dabei hatte er Ruff trotz seines aufgeschwemmten Gesichts und der Verletzungen gleich erkannt und das auch den Kollegen so bestätigt.
»Also liegt dort vorne wirklich ein Toter?«
Kerstin Wontarra sah ihn mit flackernden Augen an, und Kerricht ärgerte sich, dass er sich gerade verplappert hatte. Er legte seine Hand auf ihre Schulter und führte sie gegen ihren
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