Rosskur: Ein Allgäu-Krimi
die beiden nach zehn Tagen zurück auf den Hof kamen, schien Marlene wieder glücklicher zu sein – aber das blieb nicht so: Nach knapp einem Jahr war die Ehe vollends im Eimer, und Thomas hat angefangen, sich nach anderen Frauen umzusehen.«
Ruff machte eine Pause und sah Hansen an. Offenbar wartete er auf eine Zwischenfrage, aber als die nicht kam, fuhr er fort: »Marlene wollte ein Kind, aber es hat nicht geklappt. Thomas hat sie zum Arzt geschickt, der hat aber nichts Auffälliges gefunden, bei ihr war wohl alles in Ordnung. Dann wäre eigentlich Thomas dran gewesen mit dem Arztbesuch, aber da hat er gekniffen, der Feigling. Typisch für meinen Bruder.«
Er ging zur Küchenzeile hinüber und schenkte sich Kaffee nach. »Tja, und seither herrscht zwischen den beiden Eiszeit, und Thomas tobt sich bei anderen Frauen aus. Und dass er einer ein Kind macht, muss er ja nicht befürchten. Praktisch, nicht?«
»Haben Sie Kinder?« Hansen hatte dem Impuls nicht widerstehen können, bei diesem ungehobelten Klotz nach einem wunden Punkt zu suchen.
»Mit der?« Ruff deutete ein Kopfnicken in Richtung der Tür an, durch die seine Frau die Küche verlassen hatte. »Lieber nicht.«
»Und woher wissen Sie das alles über Ihren Bruder und Ihre Schwägerin? Sagten Sie nicht vorhin, dass Sie schon lange keinen Kontakt mehr miteinander haben?«
»Ach, da trifft man diesen oder jenen, es wird viel geredet – und dann kann ich mir den Rest auch zusammenreimen. In den ersten Jahren der Ehe von Thomas und Marlene hatten wir ja noch Kontakt. Freunde waren wir nicht, aber geredet haben wir miteinander.«
»Was für ein Problem hatten Sie und Ihr Bruder miteinander?«
Ruff sah Hansen nachdenklich an, dann zuckte er mit den Schultern.
»Das hat mit unserem Vater zu tun. Er und Thomas haben sich ständig gestritten – wahrscheinlich waren sich die beiden einfach zu ähnlich, um miteinander auskommen zu können. Vater hat meinen Bruder zu den Pferden mitgenommen, zu den befreundeten Züchtern, zu Rennen und Pferdemärkten – der hat ihn richtig aufgebaut als seinen potenziellen Nachfolger. Und Thomas hat sich auch sehr für die Branche interessiert. Pferde, das war schon immer seins. Aber er und Vater sind immer wieder aneinandergerasselt, und irgendwann war der Punkt erreicht, an dem klar war: Die beiden auf einem Hof – das geht nie und nimmer gut.«
»Waren Sie nicht eifersüchtig? Immerhin sind Sie der ältere Bruder, da wären doch Sie als Nachfolger hier auf dem Hof an der Reihe gewesen.«
Ruff lachte. »Nein, danke, ich hatte noch nie großes Interesse an Pferden. Ich bin ganz geschickt, was handwerkliche Arbeiten angeht, und ein Bekannter meines Vaters hat mir eine Lehrstelle in seinem Flaschnerbetrieb gegeben. Ich hab dann zwar noch daheim gewohnt und abends und am Wochenende im Stall geholfen, weil ich mir von dem bisschen Lehrlingsgeld keine eigene Wohnung leisten konnte – aber den Hof wollte ich nie übernehmen. Ich war heilfroh, dass Thomas Interesse gezeigt hat, und ich hab immer wieder zwischen den beiden Dickschädeln vermittelt, damit die sich wieder halbwegs zusammenrauften und mein Bruder den Hof auch wirklich übernehmen würde.«
»Und warum hat das nicht geklappt? Immerhin führen jetzt Sie den Hof.«
»Die beiden haben sich halt einmal zu oft gestritten«, brummte er. »Da war dann nichts mehr zu kitten, leider. Thomas hat sich dann … sagen wir mal: anderweitig orientiert. Kurz darauf war er mit Marlene zusammen, und als er den Hof von ihren Eltern übernahm und sich mit ganzem Eifer darauf stürzte, daraus sein ›Rossparadies‹ zu machen … Na ja, vermutlich ist sogar Marlene bald der Verdacht gekommen, dass sich ihr lieber Thomas zuerst in den Hof ihrer Eltern und dann praktischerweise auch noch in sie verliebt hat.«
»Das hat Ihren Vater sehr getroffen, nehme ich an.«
»Allerdings. Und dann hat er mich bearbeitet. Meine Mutter war damals schon ziemlich krank, und mein Vater schaffte die ganze Arbeit nicht allein. Das war auch mit meiner Hilfe nach Feierabend nicht mehr zu machen – also hat sich mein Vater bei seinem Freund, meinem Chef, ausgeheult über seine undankbaren Söhne und darüber, dass ich ihn und meine Mutter mit meiner Weigerung, endlich den Hof zu übernehmen, noch ins Grab bringe. Wenig später habe ich die Kündigung bekommen. Angeblich war meinem Chef ein wichtiger Auftrag geplatzt, und nun stehe er mit dem Rücken zur Wand. Vater hat mir ganz großzügig angeboten,
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