Rosskur: Ein Allgäu-Krimi
halben Vormittag hatte er nun schon damit zugebracht, noch einmal alle Akten durchzugehen, aber es hatte sich bisher kein neuer Ansatz ergeben. Sie hatten eine Leiche, einen Tatzeugen, viele Leute mit mehr oder weniger starken Motiven – und niemanden, der bisher wirklich als Täter oder auch nur als Auftraggeber des Mordes infrage kam.
Hansen seufzte, schenkte Sprudel nach und stellte sich mit dem Glas ans Fenster. Diese Phase der Ermittlungen hatte er schon in Oldenburg gehasst und in Hannover, und sie fühlte sich hier im Allgäu kein bisschen besser an: Die Ermittlungen stockten, alle traten auf der Stelle, und nirgendwo bot sich eine vielversprechende Spur an.
Nach einer Weile ging er zum Vorzimmer von Kripochef Huthmacher, weil er dessen Sekretärin um einen Kaffee bitten wollte, doch erst als er die Tür verschlossen fand, fiel ihm ein, dass heute ja Samstag war und die meisten Kollegen zwar weiter an dem Fall arbeiteten, aber außerhalb der Soko-Besprechungen nicht zwingend in der Inspektion sein mussten.
Irgendwann fuhr er nach Lechbruck, schlenderte am Fluss entlang und warf Kieselsteine ins Wasser. Er spazierte durch den Ort, und als er das Lechstüberl erreichte, dachte er kurz daran, auf ein Bier und eine Brotzeit einzukehren – aber dann sah er durchs Fenster Freddy Kerricht am Stammtisch sitzen, und auf Small Talk mit einem Kollegen hatte er heute keine Lust.
Er ging weiter, stand noch eine Zeit lang auf der Lechbrücke und sah auf den Fluss hinunter und zur Landzunge hinüber, ließ seinen Blick über den Wald am Ufer schweifen bis zu der Stelle direkt zu seinen Füßen, wo Thomas Ruff auf die Steine des Lechufers gestürzt war.
Dann fuhr er zurück nach Füssen, aß in der Innenstadt Schweinsbraten mit Knödeln und wälzte sich noch weit nach Mitternacht mit vollem Bauch und kreisenden Gedanken im Bett.
Sonntag, 16. Juni
Am nächsten Morgen erwachte Hansen trotzdem zeitig, machte sich ein deftiges Frühstück und setzte sich mit einer zweiten Tasse Kaffee hinter das Haus. Fast eine Stunde lang saß er da, genoss die frische Luft und die schöne Aussicht, dann ging er wieder nach drinnen, drehte das Radio auf, sang ein paar Oldies mit und bügelte Hemden.
Um die Mittagszeit kam eine Hähnchenbrust in die Pfanne, dazu kochte er Reis, und die ganze Zeit über ließ er das Essen keinen einzigen Moment aus den Augen. Aber die Vorsicht schien umsonst: Ignaz war weit und breit nirgendwo zu sehen.
Als Hansen sich einen Teller hergerichtet und die Reste mit Deckeln gesichert hatte, ging er ins Wohnzimmer hinüber und ließ sich sein Essen zu einem alten Piratenfilm schmecken, der im Fernsehen zum tausendsten Mal wiederholt wurde.
Irgendwann hörte Hansen vom Flur her ein leichtes Tapsen. Ignaz erschien in der Tür, entdeckte seinen Mitbewohner und blieb mitten im Schritt wie erstarrt stehen. Sein Blick hatte etwas Panisches, und in Hansen machte sich schlechtes Gewissen breit. Seit er Ignaz vor ein paar Tagen erschreckt hatte, schien das Tier wie ausgewechselt.
Hansen aß zu Ende, dann ging er in die Scheune hinüber und öffnete den Schrank, aus dem Walburga Lederer immer das Fressen für den Kater holte. Fein säuberlich aufeinandergestapelt stand dort Nassfutter jeder nur erdenklichen Geschmacksrichtung bereit. Hansen nahm die erstbeste Dose und zog den Deckel auf. Dieses Geräusch genügte, um Ignaz in die Küche zu locken, wo er in gebührendem Abstand so tat, als wollte er sich bei seinem Dosenöffner einschmeicheln.
Kurz darauf stellte Hansen ihm einen Teller mit dem halben Inhalt der Katzendose hin, und wie das Tier so gierig darüber herfiel, kniete sich Hansen daneben und streichelte den Kater ein paarmal: vom Kopf über die knochigen Schulterblätter und den Rücken bis hin zur Schwanzwurzel.
Das machte er nur ein einziges Mal, schon fuhr Ignaz herum und verbiss und verkrallte sich in Hansens Hand und ließ erst wieder los, als Hansen schreiend und fluchend seinen Arm hin und her schüttelte.
Während Hansen sich die Hand hielt und sich im Bad einen Verband anlegte, kümmerte sich Ignaz wieder um sein Nassfutter, Geschmacksrichtung Thunfisch.
Montag, 17. Juni
Die Soko-Besprechung war an diesem Morgen für zehn Uhr angesetzt. Deshalb wunderte sich Hansen, dass Haffmeyer schon am Vorabend angerufen und sich für halb acht Uhr früh angekündigt hatte, um ihn zu Hause abzuholen. Einen Grund dafür wollte er ihm nicht nennen. »Lassen Sie sich überraschen, Chef.«
Pünktlich um halb
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