Rosskur: Ein Allgäu-Krimi
hielt jede Position so lange, bis sie fließend in die nächste übergehen konnte.
Hansen erinnerte sich, dass er Kati Witt immer für ihre Eistanzauftritte bewundert und dass er insgeheim auch immer ein wenig auf ihre Oberweite geschielt hatte – doch Hanna Fischer, obwohl sie in diese viel zu engen Kleider gezwängt war, musste sich mit ihrem intensiven Ausdruck und der Versunkenheit in ihren Sport vor ihrer berühmten Kollegin nicht verstecken.
Nun glitt sie ein paarmal in weiten Kreisen hin und her und kehrte schließlich wieder in die Mitte der Eisfläche zurück, atmete dabei einige Male tief ein und aus, dann begann sie sich im Kreis zu drehen, kreuzte die Arme vor dem Körper, beugte den Oberkörper nach hinten und blickte zur Decke. Dann drehte sie sich immer schneller, führte die Arme schließlich wieder nach vorn, wurde zu einem einzigen Wirbel, dessen Konturen verschwammen. Das zufriedene Lächeln, das sich nun auf ihrem Gesicht ausbreitete, war trotzdem zu sehen.
Hansen wollte schon begeistert Applaus klatschen, als ihm gerade noch einfiel, dass er seine Kollegin ja heimlich beobachtete – und dass es ihr vielleicht gar nicht recht war, wenn er sie hier so sah. Haffmeyer hatte die Bewegung seines Vorgesetzten bemerkt, nickte ihm aufmunternd zu und begann selbst zu klatschen, erst leicht und langsam, dann immer schneller und lauter, und bald brachte der Applaus der beiden Männer Hanna Fischer dazu, ihre Drehbewegung in eine elegant eingebundene Verbeugung münden zu lassen. Dann richtete sie sich wieder auf, blinzelte zu den Rängen hinauf, konnte aber keine Gesichter erkennen, also winkte sie noch ein paarmal hinauf und glitt auf das mittlere der drei Glashäuschen am Rand der Eisfläche zu.
»Kommen Sie?«
Haffmeyer stand auf und ging die Treppe hinunter. Als sie die Eisfläche erreichten, sah Hanna Fischer auf, und vor Schreck klappte ihr der Mund auf.
»Sie hier, Chef?«
Kurz funkelte sie Haffmeyer mit einem strafenden Blick an, doch der hob nur abwehrend die Hände. »Ich dachte, vielleicht sollte der Chef das mal sehen.«
»Sah toll aus, wie Sie da getanzt haben, Frau Fischer, ich bin echt platt.«
»Ja, ich … äh …« Sie blickte noch einmal zu Haffmeyer, nun schon etwas besänftigt. »Ich will aber nicht, dass das bei den Kripokollegen die Runde macht, ja?«
»Keine Sorge.«
Sie nahm ihre CD aus dem Player, schaltete die Anlage aus und glitt übers Eis zum linken Glashäuschen hinüber, wo ihre Sporttasche und zwei Plastikschoner für die Kufen ihrer Schlittschuhe auf der Bank lagen.
»Machen Sie das schon lange?«, fragte Hansen nach einer kurzen Pause.
Sie setzte die Brille auf, schob ihre Tasche ein wenig zur Seite, streckte die Beine aus und massierte sich die Oberschenkel.
»Ich hab schon als kleines Mädchen davon geträumt, Eistanz zu machen. Ich hab mich immer als Prinzessin im glitzernden Kleidchen gesehen, die waghalsige Sprünge und wunderschöne Drehungen macht und dafür den Jubel der Zuschauer genießt. Na ja, leider hatte ich noch nie die passende Figur für eine Eisballerina, und wie Sie sehen, ist das mit den Jahren nicht besser geworden.«
»Kann hier jeder einfach so rein?«
»Zum Zuschauen ja, zum Eistanzen nein – aber ich gehör hier schon lange dazu. Die drei Eishallen werden vom Bundesleistungszentrum betrieben, da helf ich ab und zu im Büro oder mach Fotos, wenn die ganz Kleinen zu Schnupperkursen hierherkommen. Und auch im Eishockeyverein, der sich fürs Training und für die Spiele einmietet, bin ich engagiert, wobei …«
»Ach, sag’s ihm ruhig«, ermunterte Haffmeyer sie, »das ist doch lustig.«
»Okay, ich bemale Gummihühner in den Vereinsfarben.«
Hansen stutzte. »Gummihühner?«
»Wenn ein Schiedsrichter im Eishockey eine Entscheidung trifft, mit der die Fans des Heimteams nicht einverstanden sind, ruft manchmal die ganze Halle: ›Huhn! Huhn!‹, und irgendwann schmeißt dann einer der Zuschauer ein Gummihuhn auf die Eisfläche. Der Schiri muss diesen Fremdkörper natürlich sofort entfernen, und wenn er das Teil hochnimmt und am Rand der Eisfläche abgibt, schreit die ganze Halle: ›Hühnerdieb! Hühnerdieb!‹ Und bei der nächsten Entscheidung gegen die Heimmannschaft geht das alles von vorne los. Das haben, soweit ich weiß, die Frankfurter Fans angefangen, und inzwischen ist das überall im Land verbreitet. Für die Gummihühner gibt es einen Hersteller, aber der produziert die Dinger natürlich in neutraler Farbgebung.
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