Rosskur: Ein Allgäu-Krimi
der Lechbrucker Seite am Wasserkraftwerk war, hatte Pröbstl wahrscheinlich schon das umzäunte Areal verlassen und hatte auch die Helmensteiner Straße hinter sich. Als sie ihren Zeugen nicht fanden, haben sie wahrscheinlich übers Handy einen Treffpunkt verabredet – und weil solche Motorräder auf die Dauer etwas auffallen, haben sie sich vermutlich anderswo getroffen.«
»Rund zwei Kilometer flussaufwärts gibt’s die nächste Staustufe«, merkte Haffmeyer an, »da führt eine Straße drüber.«
Hansen stand auf und suchte die Stelle auf der großen Wandkarte. »Und dorthin führt auch dieser Waldweg, auf dem sie die Leiche später weggeschafft haben.« Er fuhr mit dem Finger die entsprechende Linie nach. »Okay, die beiden treffen sich also an dieser Staustufe. Jetzt könnte es halb acht sein oder schon acht, und Ruff liegt noch immer unter der Brücke. Für den Verkehr oben ist er durch die Brücke verdeckt, für die Anwohner in Gründl durch die Brücke oder die Böschung, je nachdem, wo genau sie wohnen. Von Lechbruck aus kann man die Stelle nicht sehen, weil am Ufer große Bäume stehen.«
»Aber die Täter mussten davon ausgehen, dass der Zeuge den Mord der Polizei meldet«, wandte Scheithardt ein.
»Stimmt. Außerdem wäre ich an ihrer Stelle so schnell wie möglich abgehauen. Rauf aufs Motorrad und weg, dann ein möglichst glaubwürdiges Alibi besorgen und darauf setzen, dass der Zeuge sie nicht allzu genau beschreiben kann.«
»Vielleicht hatten sie Angst vor ihrem Auftraggeber«, meldete sich Hartmut Koller zu Wort, der die bisherigen Soko-Besprechungen fast kommentarlos verfolgt hatte. Wahrscheinlich war er beleidigt, weil ihm Hansen in der direkten Zusammenarbeit die Kollegen Fischer und Haffmeyer vorzog.
Allmählich schien ihm aber klar zu werden, dass er sich darüber nun wirklich nicht beschweren durfte: Ins Abseits hatte er sich selbst manövriert, weil er seinem neuen Chef eine Falle hatte stellen wollen – und ausgerechnet Hansen hatte, obwohl er vermutlich Bescheid wusste, Koller trotzdem als Soko-Mitglied vorgeschlagen.
»Vielleicht«, fuhr er fort, »hatte ihr Auftraggeber sie angewiesen, Ruffs Tod als Unfall oder Selbstmord zu inszenieren – und nun haben sie auf eine Chance gelauert, das doch noch hinzubekommen, um ihrem Chef nicht mit der schlechten Nachricht gegenübertreten zu müssen, dass sie den Auftrag versemmelt haben.«
Hansen nickte Koller anerkennend zu. »Da könnten Sie recht haben. Also haben sie sich möglicherweise in dem Waldstück versteckt, haben ihre Motorräder irgendwo hinter ein paar Büschen abgestellt und sind in Richtung Lechbrücke geschlichen. Ich nehme an, da lässt sich leicht ein Plätzchen finden, von dem aus man Ruffs Leichnam im Blick haben kann, ohne selbst entdeckt zu werden.«
»Und darüber ist es dunkel geworden«, dachte Scheithardt laut. »Eine Stunde im Wald hocken und den Tatort beobachten – das könnte hinhauen.«
»Gegen halb zehn oder zehn, als es dunkel genug war, haben sie ihre Motorräder geholt, haben den Leichnam ein Stück weggetragen, haben am Boden die Spuren von Ruffs Aufprall verwischt und beseitigt, so gut es ging – und dann hat sich einer auf seine Maschine gesetzt, und der andere hat ihm die Leiche auf den Rücken gebunden. Schließlich sind sie beide mit ihren Motorrädern den Wanderweg zurück ins Waldstück gefahren und kamen auf der anderen Seite bei der oberen Staustufe wieder raus.«
»Aber wie kamen die beiden auf die Idee, den Toten in diesem Moor zu verstecken?«, wandte Scheithardt ein. »Wenn sie nicht wussten, wie man auf die Landzunge bei der Lechbrücke kommt, kannten Sie doch vermutlich auch den Premer Filz nicht, oder?«
»Da haben Sie recht, das passt nicht ganz zusammen.«
»Und wenn sie inzwischen ihren Auftraggeber angerufen hätten?«, sagte Koller. »Mittlerweile hatten sie ja eine Idee, wie sie die Leiche verschwinden lassen könnten. Ihr Chef wird eh schon darauf gewartet haben, dass er Bescheid bekommt, wie alles gelaufen ist.«
»Genau«, spann Hansen den Gedanken fort. »Sie rufen ihn an und erzählen von ihrem Plan – aber der Auftraggeber schlägt ihnen stattdessen den Premer Filz vor, den er kennt, und beschreibt den beiden Helfern den Weg dorthin.«
Alle nickten – nur Scheithardt blickte betrübt drein.
»Und wo passt da das dritte Motorrad rein?«, fragte er schließlich.
Samstag, 15. Juni
Kriminalhauptkommissar Eike Hansen saß in seinem Büro und sah aus dem Fenster. Den
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