Rost
eine
Dickies-Arbeitshose, seine alte gab er einer der Hofratten. Es war warm, die
Leute saßen auf den Bänken oder an der Mauer, schwitzten in der Sonne und
betrachteten den Hof. Poe hatte wie die anderen das Hemd abgelegt, und sie
sahen aus wie eine Meute Bauarbeiter in der Mittagspause oder Feuerwehrleute,
normale Kerle, keine Monster oder Supermänner, es war eigentlich so wie
woanders, so wie draußen, darauf musste er sich konzentrieren.Ein paar
Stunden später waren sie noch immer an demselben Ort, er war erhitzt und
ausgetrocknet, und er hatte einen Sonnenbrand, die anderen schienen das nicht
zu bemerken, saßen einfach in der niedrigstehenden Sonne und ließen sich
verbrennen, er war schrecklich durstig, wollte aber keine Seven-Ups mehr
trinken, hatte schon mehr als genug gehabt. Er war jetzt müde, kämpfte aber, um
die Augen offenzuhalten, ein paar Lieutenants waren schon gegangen, das kam für
ihn nicht in Frage, er musste bei Dwayne und Larry bleiben. Als es Zeit fürs
Abendessen wurde, fand auch keiner, dass Poe jetzt zurück in die Kantine gehen
sollte. Noch zu früh.
»Wenn du was brauchst«, sagte Black Larry. »Skittles? Zigaretten? Pruno -Wein?«
»Ich könnte etwas Richtiges zu essen brauchen«, sagte Poe. »Ich hab
aber kein Geld.«
»Im Laden gibt es abgepackten Räucherlachs. Kriegst du gebracht.
Paar Tüten Chips dazu.«
***
Dwayne begleitete ihn in die Zelle. Auf Poes Bett lag eine
Wäschetüte voller Waren aus dem Laden, Deo, Snickers, vier Packungen eingeschweißter
Lachs und Salzcracker.
»Jetzt kommste klar?«, fragte Dwayne. Sie tippten die geballten
Fäuste aneinander.
»Ich bin versorgt.«
»Dein Zellenkumpel kommt heut Abend wieder. Nach sechs Monaten in
Einzelhaft kann er ein bisschen Ellbogenfreiheit gebrauchen.«
»Kein Problem.«
»Der ist in Ordnung. Wird dich bloß vollquatschen wollen.«
***
Als er allein war, aß Poe zwei Packungen Lachs und dazu
Salzcracker, das erste gute Essen, das er seit, wie lange, ein paar Tagen bekam.
Und mit schläfrig-sattem Bauch machte er’s sich bequem in seiner Koje, ja, er
würde schon zurechtkommen. Zuerst musste er grinsen, konnte gar nicht anders,
und dann kam das andere Gefühl, die würden was dafür verlangen. Das war auch in
Ordnung. Einfach nur eins nach dem anderen.
Im Erdgeschoss des Zellenblocks hörten sie Rap und johlten mit. Er
schloss die Augen, eine Weile ausgestreckt auf seinem Bett, an Einschlafen war
nicht zu denken, seine Hände waren wund, er musterte sie, sah, wie langsam sie
abheilten. Dass sein Blut sich mit dem Blut des anderen vermischt hatte, der
Little Man hieß, das stand fest. Poe wusch sich noch einmal die Hände, ihm war
klar, dass das nichts nützte, irgendwas musste er sich besorgen, kleines
Schloss, paar Batterien, und das dann in eine Socke stecken. Nein, er würde
sich deswegen keine Sorgen machen. AIDS war
höchstwahrscheinlich die geringste seiner Sorgen. Was ihn umbringen würde, war
eher ein Messer in den Hals, wenn er in der Kantine grad ein Sandwich mit
gegrilltem Käse essen würde. Clovis hatte ihm kurz einen 20 -Zentimeter-Dolch
gezeigt, »mein Knochenbrecher«, hatte er gesagt, und wenn der so was hatte,
hatte es die Gegenseite auch. Deshalb war seine Sorge wegen AIDS derzeit ungefähr so, als würde er befürchten, dass
die Welt von einem Meteor getroffen wurde. Und er fragte sich, ob er hier einen
Kampf kämpfte, den er schon längst verloren hatte, hoffnungslos verloren, bloß
dass er sich auf den Beinen hielt, aus irgendwelchen Gründen. Als er klein war,
sah er Virgil einmal dabei zu, wie der mit seinem Compoundbogen einen kleinen
Bock geschossen hatte, und der zuckte leicht und fraß dann ungerührt sein
Raigras weiter. Erst ein paar Sekunden später kippte er, der Pfeil hatte ihn
vollständig durchbohrt und die Aorta verletzt, seinen Todesstoß hatte er kaum
gespürt. Und nun saß Poe hier und beglückwünschte sich, wo sich gar nichts
Gutes abspielte, das Einzige, worauf er sich verlassenkonnte, war, dass
seine Lage schlimmer werden würde. Wie sein ganzes Leben.
Er hatte sich nicht darum gerissen. Er hatte sich nicht darum gerissen,
bei heftigem Regen in einer Maschinenhalle Unterschlupf zu suchen, einem Ort,
der zwangsläufig ein Obdachlosenparadies war. Wegen Isaac, nur deshalb, waren
sie dort hingegangen, wegen Isaac hatten sie in dem undichten Gebäude bei
heftigem Regen abgewartet statt auf Poes Veranda, Blick über die Felder, Bier
dazu. In solche Situationen zu
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