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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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ihn nicht würde heben können, er schien kaum
zu registrieren, dass sie da war. Er war kalt, so kalt, er hätte ein Stück Holz
oder ein Stein sein können. »Los, steh auf«, schrie sie ihn an, die Stimme
durch den Schnee gedämpft. Er stemmte sich schwach mit den Beinen ab, dann
standen sie, sie sagte zu ihm, komm, jetzt gehen wir, jetzt gehen wir ins Haus.
    Sie kriegte ihn ins Badezimmer, setzte ihn in seinen Kleidern in die
Wanne. Ließ ihm heißes Wasser einlaufen und zog ihm seine Schuhe aus.
    »Was ist passiert«, sagte sie, aber er war ganz woanders. Heißes
Wasser strömte in die Wanne, aber Billy starrte vor sich hin, dumpf, und
erkannte sie nicht. Langsam wurde das Wasser schlammfarben. Er roch stark, und
sie überlegte, wann er sich das letzte Mal gewaschen hatte. Dass er sich zu
wenig pflegte, wusstesie wohl, die Entlassung aus dem Eisenwarenladen hatte
ihn ins Trudeln gebracht, und sie hätte sich mehr um ihn kümmern müssen. Sie
hatte entschieden, ihn den Weg alleine finden zu lassen. Sie hatte falsch
entschieden. Seine Haut war bleich und fühlte sich eiskalt an, und sie drückte
seine Schultern tiefer unter Wasser.
    Dampf erfüllte den Raum, und der Schorf an seinem Hals löste sich,
die Schnittwunden bluteten wieder, das Wasser war fast schwarz vor Dreck und
Blut. Sie kniete dicht neben der Wanne und bespritzte ihn mit warmer,
schmutziger Brühe, sein Körper hatte das Wasser abgekühlt, sie ließ etwas
ablaufen und dafür frisches, heißes ein. Nach wenigen Minuten fing er an zu
schlottern und wurde zugleich wärmer. Sie war unsicher, ob das gut war,
jemanden so schnell wieder aufzuwärmen. Irgendwas, das wusste sie, sollte man
nicht tun, wärmt man sie zu schnell auf, sterben sie. Sie setzte ihn hoch,
tupfte Jod auf die Halswunde, der braune Fleck versickerte in seinem T-Shirt.
    »Komm, wir ziehen dir die Kleider aus«, sagte sie mit der weichen
mütterlichen Stimme, die sie jahrelang nicht mehr benutzt hatte. Er ließ sich
das T-Shirt ausziehen. Sie öffnete den Gürtel und den Knopf der dreckstarrenden
Jeans, versuchte sie auch auszuziehen, aber nein, er hielt sie fest, mit beiden
Händen – wollte offenbar nicht, dass sie ihm die Hose auszog.
    »Billy.«
    Er sagte kein Wort.
    »Lass los«, sagte sie.
    Schließlich gab er nach, und sie zog ihm mit einiger Mühe die Jeans
aus, sorgsam darauf achtend, dass die Unterhose nicht mitkam. Der Schnitt an
seinem Hals blutete wieder, er war tief und gerade, beigebracht mit einem
Messer, unverkennbar, wie ein Stück zerschnittenes Fleisch, da blitzte etwas
Weißes auf, das unnatürlich wirkte, und sie wusste, das musste die Sehne sein
oder ein anderes Gewebe. Hatte sie die Tür geschlossen? Virgils Schrotflinte
lag irgendwo, sie wusste nicht, wo die Patronen waren.
    »Ist wer hinter dir her?«, fragte sie und schüttelte ihn. »Billy.
Billy, ist wer auf dem Weg hierher?«
    »Nein«, sagte er. Er wachte endlich auf.
    »Sieh mich mal an.«
    »Nein, da kommt keiner«, sagte er.
    Sie sah Flecken vor den Augen. Viel zu heiß hier drin, sagte sie sich.
Ihr wurde leicht im Kopf. Wenn du ihn nächstes Mal so siehst, dann nicht in
diesem Haus, dann liegt er so auf einem Tisch im Krankenhauskeller. Sie nahm
die nassen Jeans und legte sie zusammen. Als sie ihm den Schnitt verpassten,
hatte er sich in die Hose gemacht. Er lag da, erhitzt und wach, und sah, dass
sie die Hose in der Hand hatte.
    Er richtete sich auf, mit ausgestreckter Hand, sie beugte sich über
die Wanne, um ihn zu umarmen. Er nahm ihr die Hose weg.
    »Die wasch ich selber«, sagte er.
    ***
    Als sie draußen war, zog Poe die Boxershorts aus, um sich abzuschrubben,
wo der Penner ihn berührt hatte. Der Schnitt an seinem Hals brannte, und er
erinnerte sich daran, dass er dachte, Isaac hätte ihn sitzenlassen, eine
Sekunde lang hatte er gedacht, Scheiß-Isaac, hat dich hier sitzenlassen, und
dann spürte er den brennenden Schnitt an der Kehle, fügte sich sofort und tat,
was sie von ihm verlangten. Hätte mir die Kehle durchgeschnitten, Jesús hieß
der Kerl, Jesús der mexikanische Schwanzlutscher, der noch immer irgendwo am
Leben war, ich bin kein grausamer Mensch, doch wenn ich ihn finde, jag ich ihm
’ne Stange durch die Knöchel, häng ihn auf und ziehe ihm die Haut ab. Poe
stellte sich sein Geschrei vor, und bei dem Gedanken daran, wie der beschissene
Jesús schrie, während ihm Poe die Haut bei lebendigem Leibe abzog, kriegte er
fast einen Ständer, oder vielleicht würde er ihn erst mal

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