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Rost

Titel: Rost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Meyer
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Schwede nichts gemacht. Er war zwar drauf
und dran gewesen, das war verdammt sicher, aber eigentlich hatte er nur ein
paar Mal zugeschlagen. Er dachte an ihn, auf dem Boden der Maschinenhalle und
den Kopf ganz eingedroschen, und fühlte sich schuldig. Jetzt hätte er an der
Uni sein sollen, in irgendeinem Seminar, sein Trainer von der Buell Highschool,
Dickie Cannedy, der alte Dick, hatte ihm Studienplätze an drei Unis angebahnt,
eine ganz oben im Staat New York, die Colgate, sah gut aus, aber er war noch
nicht bereit. Nein, stimmte gar nicht, er wäre bereit gewesen. Hätten sie ihn
nur in Ruhe gelassen, dann wär er auch gegangen. Aber wenn dich alle
anschreien, dass du was ganz Bestimmtes tun sollst … Da hatte er abgewunken,
gleich der ganzen Stadt den Stinkefinger gezeigt, statt der Uni einen Job in
Turners Eisenwarenladen angenommen. Und den Finger würd er ihnen wieder zeigen,
wenn er jetzt verschwand und auf die Uni ging. Der Colgate-Trainer hatte ihm
gesagt, dass er ihn jederzeit anrufen könne, jederzeit, sobald Sie Ihre Meinung
ändern, Mr. Poe. Tja, dachte er, ich habe meine Meinung jetzt geändert. Und ich
werd ihn anrufen.
    Es schien, als kriegte er allmählich wieder einen klaren Kopf und
alles würde gut werden. Dann dachte er: die Jacke. Meine Footballjacke liegt in
der Maschinenhalle rum, mit meinem Namen und der Spielernummer drauf, gleich
neben einer Leiche und wahrscheinlich blutverschmiert. Die Leiche würden sie
ganz sicher finden, früher oder später, und dann würden sienicht Isaac
English suchen. Sondern Billy Poe, der einen schlechten Ruf hatte, der fast den
Burschen aus Donora totgeschlagen hätte, es war Notwehr gewesen, doch das sah
keiner außer ihm so.
    Sie mussten die Jacke holen und die Leiche auch. Wir schleifen sie
zum Fluss. Wie viele Hirsche hatte er schon aus dem Wald geschleift – das
konnte nicht viel anders sein. Er wusste aber, dass es anders sein würde. Sie
hatten keine andere Wahl. Sie mussten wieder hin.

3 . Isaac
    Isaac schlief nicht, und morgens hörte er den Alten unten
rumrumoren. Als er letzte Nacht nach Haus gekommen war, da hatten sie sich angesehen
und genickt, kein Wort vom Alten über das gestohlene Geld.
    Vom Fenster seines Zimmers im ersten Stock konnte er erkennen, dass
der Schnee bereits auf allen Hügeln weggeschmolzen war. Er wusste noch, wie er
aus diesem Fenster in die Dunkelheit hinausgesehen hatte, als das Walzwerk
lief, der Nachthimmel gewaltig, voller Feuer. Das war eine ausgeblichene
Erinnerung an seine Kindheit. Es war nicht der erste tote Penner dieses Jahr.
Der andere war in einem alten Haus gefunden worden, Januar. Erfroren. Bloß dass
der hier nicht gestorben war – sondern getötet worden. Schon ein Unterschied.
Das würden sie nicht einfach durchgehen lassen.
    Eine merkwürdige Jahreszeit war das, noch nicht ganz Frühling und
nicht mehr ganz Winter – manche Bäume waren schon belaubt und andere noch kahl.
Es würde ein warmer Tag werden. Alle Hügel, Senken, Winkel – tröstlich fühlte
sich das an. Das Land war auf den nächsten 150 Kilometer ohne ebene Stelle. Gut verborgen, wo auch immer du grad bist. Das
wird dir mit dem Schweden wenig nützen, dachte er. Sie werden irgendwann den
Schweden finden, und dann sind sie nicht auf deiner Seite – wenn du einen Toten
siehst, dann denk, das ist ein Mensch mit Mutter, Vater, Bruder, Schwester,
denk, dass du ein Mensch wie er bist. Lass dich nicht von einem toten Mann
belügen, frag dich, ob dir seine Gründe auch genügen. Hunde lässt man zum
Verwesen liegen – ist beim Menschen anders. Gucken Hunde tote Hunde an und
denken sich was dabei? Nein, das hast du schon gesehen,sie gehen dran
vorbei, kein Blick. Gehört zum Wesen eines Hundes, einen toten Hund zu
akzeptieren.
    Isaac bemerkte, dass die Dinge sich veränderten. Das ist dein Zimmer,
aber nicht mehr lang. Ein Bild von seiner Mutter über seinem Schreibtisch,
lächelnd, jung und hübsch und schüchtern. Ein paar Preise, Jugend
forscht , der erste Preis der siebten, achten, neunten Klasse. Danach
keine mehr – weil sie deine Projekte nicht verstanden. Was dir vorher klar war,
aber du hast’s trotzdem gemacht. Quarks, Leptonen, Stringtheorie, und dann
hattest du deine Lektion gelernt. Die Hälfte von denen glaubt noch, die Erde
wär viertausend Jahre alt. Die anderen sind nicht viel besser – Colonel Boyd
erzählt der Klasse, dass die Menschen früher Kiemen gehabt hätten, die wären
aber verschwunden, als wir sie nicht mehr

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