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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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Reinschriften durch und nahm zu seiner Verblüffung wahr, daß Julian dieses mit »ss« geschrieben hatte. »Sollte mir der Abbé ein Märchen aufgebunden haben, als er mir die Kenntnisse des jungen Mannes rühmte?« dachte er.
    Arg enttäuscht fragte er Julian in mildem Tone: »In der Rechtschreibung sind Sie wohl nicht firm?«
    »Leider nein, Eure Exzellenz«, gab Julian zu, ohne im geringsten zu bedenken, wie sehr er sich damit schadete. Er war allzu gerührt von der Güte des Marquis, bei der ihm die hochfahrende Art und Weise des Herrn von Rênal deutlich in die Erinnerung trat.
    »Dann hat es eigentlich keinen Zweck, es mit diesem kleinen Abbé aus der Freigrafschaft zu versuchen«, dachte der Marquis. »Ich brauche einen in jeder Beziehung zuverlässigen Menschen.« Laut sagte er: » Dieses wird mit einem s geschrieben. Wenn Sie eine Reinschrift anfertigen, müssen Sie die Wörter, über deren Schreibweise Sie sich unklar sind, im Wörterbuche nachschlagen.«
    Um sechs Uhr ließ der Marquis Julian rufen. Sein erster – betroffener – Blick fiel auf dessen Schuhe.
    »Ich muß mich einer Vergeßlichkeit zeihen«, bemerkte er. »Ich habe Ihnen noch nicht gesagt, daß Sie sich alle Tage einhalb sechs Uhr umkleiden müssen.«
    Julian sah ihn verständnislos an.
    »Ich meine: Kniehosen und Strümpfe anziehen. Arsen wird Sie immer daran erinnern. Für heute sind Sie entschuldigt.«
    Mit diesen Worten ließ der Marquis seinen Sekretär in einen goldschimmernden Saal eintreten. Herr von Rênal hätte bei dieser Gelegenheit nicht versäumt, seinen Gang zu beschleunigen, um den Vortritt zu haben. In Erinnerung der kleinlichen Eitelkeit seines ehemaligen Herrn trat Julian dem Marquis auf die Füße und verursachte dem an Gicht Leidenden großen Schmerz.
    »Ein Tölpel ist er also auch!« stöhnte der Marquis.
    Er stellte ihn einer stattlichen Dame von imposanter Erscheinung vor. Es war die Marquise. Sie machte Julian einen sehr eingebildeten Eindruck. Sie erinnerte ihn an Frau von Maugiron, die Gattin des Landrates von Bray, wenn sie irgendeiner offiziellen Festlichkeit beiwohnte.
    Julian geriet durch die ungemeine Pracht des Saales ein wenig in Verwirrung. Er hörte nicht, was Herr von La Mole sagte. Die Marquise würdigte ihn kaum eines Blickes. Es waren noch einige Herren anwesend, unter denen Julian zu seiner unaussprechlichen Freude den Bischof von ******* erkannte, der vor einigen Monaten bei der Zeremonie von Hohen-Bray so liebenswürdig mit ihm gesprochen hatte. Der junge Prälat war zweifellos erschrocken über die zärtlichen Blicke, die Julian voll Schüchternheit auf ihn warf, ließ sich aber nicht anmerken, daß er den Provinzler wiedererkannte.
    Alle im Salon Versammelten schienen Julian etwas Gedrücktes und Gezwungenes an sich zu haben. Man spricht leise in Paris und macht von Kleinigkeiten nicht viel Aufhebens.
    Ein hübscher junger Herr mit einem Schnurrbärtchen und sehr blassem Gesicht erschien um halb sieben Uhr als letzter. Er war hoch aufgeschossen und hatte einen auffällig kleinen Kopf.
    »Du läßt stets auf dich warten!« bemerkte die Marquise, als ihr der Spätling die Hand küßte.
    Julian ward sich klar, daß dies Graf Norbert von La Mole war. Vom ersten Augenblick an fand er ihn entzückend. »Kaum möglich«, sagte er sich, »das soll der Mensch sein, dessen beleidigende Scherze mich aus dem Hause vertreiben könnten?«
    Bei näherer Betrachtung bemerkte er, daß der Graf hohe Stiefel und Sporen trug. »Und ich soll Schuhe und Strümpfe tragen wie ein besserer Dienstbote!«
    Man ging zu Tische. Julian hörte, wie die Marquise ein paar tadelnde Worte sagte. Dabei sprach sie ziemlich laut. Fast zu gleicher Zeit bemerkte er eine sehr hellblonde und auffällig wohlgestaltete junge Dame, die sich ihm gegenüber setzte. Sie gefiel ihm gar nicht. Aber als er sie genauer anschaute, hatte er die Empfindung, noch nie so schöne Augen gesehen zu haben. Nur verrieten sie große Seelenkälte. In der Folge fand Julian, daß sie einen scharfen und gelangweilten Ausdruck hatten, als wolle die junge Dame damit ihre Überlegenheit andeuten. »Frau von Rênal hatte gewiß wunderschöne Augen«, dachte er bei sich. »Alle Welt machte ihr Komplimente darüber, aber sie waren so ganz anders als diese.« Er besaß nicht Menschenkenntnis genug, um zu merken, daß in den Augen von Fräulein Mathilde – so hörte er sie nennen – hin und wieder Funken von Geist aufblitzten. Wenn Frau von Rênals Augen

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