Rot und Schwarz
zum Totlachen. Und dann wieder hängen sie solche Firmen an ihre Paläste, damit der plündernde Mob bei einem Umsturz nicht erst lange zu suchen braucht.«
Er teilte dem Abbé mit, was er eben gedacht hatte.
»Ärmster«, entgegnete dieser, »Sie werden mein Vikar allzubald sein. Was haben Sie für schauderhafte Einfalle!«
»Der Gedanke liegt aber doch nahe«, meinte Julian.
Das würdevolle Benehmen des Pförtners und mehr noch die peinliche Sauberkeit des Hofes riefen seine Bewunderung hervor. Es war heller Sonnenschein.
»Ein großartiger Bau!« sagte er zu seinem Freunde.
Der Palast war eins jener langweiligen mächtigen Häuser der Vorstadt Saint-Germain, wie sie zur Zeit von Voltaires Tod erbaut wurden.
----
Zweites Kapitel
Eintritt in die große Welt
Lächerliche und rührende Erinnerung: Der erste Salon, den man mit achtzehn Jahren allein und ohne Schutz betritt! Der Blick einer Frau genügte, um mich einzuschüchtern. Je mehr ich mir Mühe gab, zu gefallen, um so linischer wurde ich. Ich machte mir über alles die irrigsten Vorstellungen: entweder war ich ohne jeden Grund überschwenglich offen, oder aber ich sah in einem Menschen einen Feind, bloß weil er mich ein wenig streng angeblickt hatte. Doch damals in der gräßlichen Qual meiner Schüchternheit, wie schön war da ein schöner Tag!
Kant
V oller Staunen blieb Julian mitten im Hofe stehen.
»Seien Sie doch nicht so kindisch«, ermahnte ihn Pirard. »Erst haben Sie die gräßlichsten Einfalle, und dann stehen Sie da wie die Kuh vorm neuen Tore. Wo bleibt da das
Nil admirari
(das Nichtsbewundern) des Horaz? Bedenken Sie, daß sich der Schwarm der Lakaien über Sie lustig macht, wenn man Sie so dastehen sieht. Dann haben Sie es von vornherein bei den Leuten verspielt.«
»Ich möchte es keinem raten, mich nicht zu respektieren«, sagte Julian, sich auf die Lippen beißend. All sein Mißtrauen war wieder da.
Um in das Arbeitszimmer des Hausherrn zu gelangen, durchschritten sie die Säle des ersten Stockes, öde, unwohnliche, trübselige Prunkzimmer. Julians Bewunderung ward noch größer. »Wer hier wohnt, kann nie unglücklich sein«, dachte er bei sich.
Endlich erreichten sie den schlichtesten, nicht einmal gut belichteten Raum des prächtigen Palastes. Drin befand sich ein kleiner schmächtiger Herr mit lebhaften Augen und einer blonden Perücke. Der Abbé wandte sich nach Julian um und stellte ihn vor. Es war der Marquis. Julian kannte ihn kaum wieder. Dieser so höfliche Herr war ein ganz andrer als der, den er in seiner Erinnerung hatte. Das war nicht wie damals in der Abtei Hohen-Bray der Grandseigneur mit der hochmütigen Miene. Julian kam es vor, als habe die Perücke des Marquis zu viel Haare. Diese ihn ablenkende Beobachtung hatte die Folge, daß er nicht im geringsten schüchtern war. Der Nachkomme des Freundes von Heinrich dem Dritten machte ihm innerhalb seiner vier Pfähle einen geradezu armseligen Eindruck.
Der überaus hagere Marquis gestikulierte viel. Des weiteren stellte Julian bei sich fest, daß er von einer Urbanität war, die auf den, der mit ihm zu tun hatte, noch verführerischer wirkte als selbst die, die er am Bischof von Besançon so bewundert hatte.
Die Audienz währte keine drei Minuten. Als sie das Zimmer verlassen hatten, sagte der Abbé zu Julian: »Sie haben den Marquis angeschaut, als sollten Sie sein Porträt malen. Ich bin ein Stümper in der sogenannten Kunst des Umganges. Darin werden Sie mir sehr bald über sein. Aber Ihr dreistes Anstarren ist mir doch ein wenig zu unhöflich vorgekommen.«
Sie stiegen wieder in ihre Droschke. Am Boulevard hielt der Kutscher. Der Abbé führte Julian durch eine Flucht von hohen Sälen. Julian fiel es auf, daß keine Möbel darin standen. Er war in die Betrachtung einer prachtvollen vergoldeten Stutzuhr versunken, die etwas seiner Meinung nach recht Anstößiges darstellte, als ein höchst elegant gekleideter Herr mit lächelnder Miene auf ihn zutrat. Julian grüßte leichthin. Der Herr lächelte weiter und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Julian zuckte zusammen und fuhr einen Schritt zurück. Er war vor Zorn rot geworden. Der Abbé vergaß seinen würdesamen Ernst und lachte, daß ihm die Tränen kamen. Der Herr war der Schneider.
Beim Wiedergehen sagte der Abbé zu Julian: »In den nächsten zwei Tagen sind Sie Ihr eigener Herr. Der Frau Marquise werden Sie erst vorgestellt, wenn alles fertig ist. Ich denke nicht daran, Sie bei Ihrem Debüt im Seine-Babel
Weitere Kostenlose Bücher