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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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er unbedenklich mehrere Ideen, die er sich aus der denkwürdigen Unterhaltung mit dem Bischof von Besançon angeeignet hatte. Sie wurden nicht am schlechtesten aufgenommen.
    Als man der Unterhaltung über die Poeten müde war, geruhte die Marquise, die es sich zum Grundsatz gemacht hatte, alles zu bewundern, was ihrem Gatten Vergnügen bereitete, Julian anzublicken. »Hinter den noch linkischen Manieren dieses jungen Abbé verbirgt sich vielleicht echte Gelehrsamkeit«, meinte der Akademiker, der neben ihr saß. Julian hörte es undeutlich. Fertige Redensarten waren nach dem Geschmack der Hausherrin, und so machte sie sich auch die über Julian zu eigen. Sie freute sich, daß sie den Akademiker eingeladen hatte. »Er amüsiert meinen Mann«, dachte sie bei sich.

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Drittes Kapitel
Die ersten Schritte
Dieses unermessliche Tal voll funkelnder greller Lichter und abertausend Menschen blendet mein Auge. Nicht einer kennt mich, alle sind sie mir überlegen. Mir schwindelt
    Poemi dell'Av. Reina
    A m nächsten Morgen in der Frühe fertigte Julian in der Bibliothek Reinschriften von Briefen an, als Fräulein von La Mole durch eine kleine, geschickt durch Bücherrücken verdeckte Geheimtür eintrat. Während Julian diese Einrichtung bewunderte, war Fräulein Mathilde sichtlich überrascht und recht unangenehm berührt, ihn hier zu finden. Mit ihren Lockenwickeln machte sie einen harten, hochmütigen, fast männlichen Eindruck. Sie hatte die heimliche Angewohnheit, aus der Bibliothek ihres Vaters Bücher zu entwenden 29 , ohne daß es jemand merkte. Julians Anwesenheit vereitelte ihr Vorhaben an diesem Morgen, und das verdroß sie um so mehr, als sie sich den zweiten Band von Voltaires »Prinzessin von Babylon« holen wollte, eine würdige Ergänzung zu ihrer außerordentlich monarchischen und frommen Erziehung, eine Meisterleistung des Sacré-Cœur! Das gute Kind verlangte schon mit neunzehn Jahren von einem Romane, wenn er ihr gefallen sollte: Esprit.
    Gegen drei Uhr erschien Graf Norbert in der Bibliothek. Er wollte eine Zeitung lesen, um abends über Politik reden zu können, und war sehr zufrieden, Julian zu treffen, dessen Vorhandensein er schon vergessen hatte. Er benahm sich tadellos gegen ihn und forderte ihn auf, mit auszureiten.
    »Mein Vater gibt uns Urlaub bis zu Tisch«, sagte er.
    Julian hatte Verständnis für dieses uns und fand es reizend.
    »Ich muß allerdings gestehen, Herr Graf«, sagte er, »wenn es darauf ankäme, einen zwanzig Meter hohen Baum zu fällen, abzuschälen und zu Brettern zu zersägen, so würde ich das leidlich machen, wie ich wohl sagen darf; aber ich habe in meinem Leben vielleicht sechsmal zu Pferde gesessen.«
    »So, dann wird dies das siebente Mal sein!« meinte Norbert.
    Insgeheim dachte Julian an den Einzug des Königs in Verrières und bildete sich ein, ein brillanter Reiter zu sein. Aber beim Zurückreiten aus dem
Bois de Boulogne
fiel er mitten in der
Rue du Bac
vom Pferde, als er einem Kabriolett kurz ausbiegen wollte. Schmutzbedeckt kam er heim. Zum Glück hatte er zwei Anzüge. Beim Diner wollte der Marquis ihn durch eine Anrede auszeichnen und fragte ihn, wie der Spazierritt verlaufen sei. Norbert antwortete rasch für ihn mit einer allgemeinen Redensart.
    »Der Herr Graf ist überaus gütig«, fügte Julian hinzu. »Ich bin ihm dafür sehr verbunden und weiß es zu schätzen. Er war so liebenswürdig, mir das frömmste und hübscheste Pferd geben zu lassen. Aber schließlich konnte er mich nicht darauf festbinden, und so bin ich mitten auf der Straße dicht an der Brücke heruntergefallen.«
    Fräulein Mathilde versuchte vergeblich, einen Lachanfall zu unterdrücken, und erkundigte sich schließlich rücksichtslos nach den Einzelheiten. Julian zog sich mit großer Natürlichkeit aus der Geschichte. Es lag Anmut in seinem Benehmen, ohne daß er es wußte. Er erzählte ihr den Unfall in der spaßigsten Weise..
    »Ich prophezeie dem kleinen Priester alles mögliche«, sagte der Marquis zum Akademiker. »Ein Provinzler, der sich in solcher Lage natürlich benimmt! Das ist noch nie dagewesen und wird auch nie wieder vorkommen. Obendrein erzählt er sein Mißgeschick vor den Damen!«
    Am nächsten Tage hörte Julian zwei theologische Vorlesungen und kehrte danach heim, um einige zwanzig Briefe abzuschreiben. Er fand in der Bibliothek neben seinem Platze einen sehr sorgfältig gekleideten jungen Herrn, der aber unvornehme Bewegungen hatte und ihn mißgünstig anglotzte.
    Der

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