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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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mißlaunig.
    »Daß ich Eure Exzellenz ganz gehorsamst bitte, gütigst die dreitausend Franken eigenhändig als an mich geschenkt hier in dieses Buch eintragen zu wollen. Übrigens ist Abbé Pirard der eigentliche Veranlasser dieses neuen Rechnungswesens.«
    Der Marquis erfüllte Julians Begehr sichtlich gelangweilt.
    Abends, wenn Julian im blauen Rock erschien, war niemals von Geschäften die Rede. Die Gunstbeweise des Marquis waren so schmeichelhaft für Julians stets leidende Eigenliebe, daß er bald gegen seinen Willen eine gewisse Zuneigung für den liebenswürdigen alten Herrn empfand. Julian war nicht gefühlvoll, wie man so sagt, aber er war auch kein Unmensch. Hatte doch seit dem Tode des alten Stabsarztes niemand so gütig mit ihm gesprochen. Zu seinem Erstaunen bemerkte er, daß der Marquis seine Eigenliebe aus Höflichkeit schonte, was der alte Feldscher niemals getan hatte. Auch erkannte er, daß der Stabsarzt stolzer auf sein schlichtes Kriegskreuz gewesen war als der Marquis auf sein breites blaues Ordensband. Leicht erklärlich: der Vater des Marquis war ein Grandseigneur.
    Eines Tages, nach dem geschäftlichen Vormittagsvortrag im schwarzen Anzug, unterhielt Julian den Marquis so gut, daß er ihn zwei Stunden lang zurückhielt und ihm durchaus einige Banknoten aufdrängen wollte, die ihm sein Agent von der Börse mitgebracht hatte.
    »Euer Exzellenz, ich hoffe, daß es nicht gegen den tiefen Respekt verstößt, den ich Eurer Exzellenz schulde, wenn ich untertänigst bitte, mir ein Wort zu erlauben.«
    »Ich bitte, Verehrter!«
    »Wollen Eure Exzellenz mir gnädigst erlauben, daß ich dies Geschenk ausschlage. Mir im schwarzen Rock gilt es nicht, und doch würde es zweifellos die Art und Weise beeinträchtigen, die Eure Exzellenz mir im blauen Rock allergütigst zugestanden haben.«
    Damit verbeugte er sich ehrerbietigst und ging hinaus, ohne sich umzusehen.
    Dieser Zug belustigte den Marquis. Er erzählte ihn am Abend dem Abbé Pirard.
    »Ich muß Ihnen endlich etwas gestehen, mein lieber Abbé. Mir ist nämlich Julians Herkunft bekannt. Ich ermächtige Sie, diese vertrauliche Mitteilung nicht geheimzuhalten.« Bei sich dachte La Mole: »Julians Verhalten heute vormittag war das eines Edelmannes. Machen wir ihn zum Edelmanne!«
    Nach einiger Zeit konnte der Marquis endlich wieder ausgehen.
    »Sie müssen auf zwei Monate nach London«, sagte er zu Julian.
    »Die Briefe, die hier eingehen, werden Ihnen mit meinen Bemerkungen versehen, expreß oder mit gewöhnlicher Post nachgesandt. Sie schreiben die Antworten und schicken mir alles zurück, immer Brief und Antwort zusammen. Ich habe mir ausgerechnet, daß der dadurch entstehende Zeitverlust nur fünf Tage betragen kann.«
    Während Julian in der Eilpost die Straße nach Calais dahinfuhr, fiel es ihm auf, daß die Geschäfte, derentwegen er über den Kanal geschickt wurde, eigentlich recht unbedeutend waren.
    Es braucht nicht besonders gesagt zu werden, mit welchem Gefühl von Haß, ja fast Abscheu Julian Englands Boden betrat. Daran war seine wahnsinnige Leidenschaft für Bonaparte schuld. Er sah in jedem Offizier einen Sir Hudson Lowe, in jedem vornehmen Herrn einen Lord Bathurst, den Anstifter der Schändlichkeiten auf Sankt Helena, der zur Belohnung dafür zehn Jahre lang ein Ministerportefeuille innehatte.
    In London kam er in eine Hochschule des Dandytums. Er lernte etliche junge russische Edelleute kennen und befreundete sich mit ihnen. Sie weihten ihn in die letzten Geheimnisse der Lebenskunst ein.
    »Sie haben geniale Anlagen, mein lieber Sorel«, sagte man ihm. »Sie haben von Natur jenes eiskalte Benehmen, das einem vom ersten Augenblick zuruft: ›Bitte, zehn Schritt vom Leibe!‹ Mancher erreicht das erst nach mühevoller Selbstschulung.« »Das neunzehnte Jahrhundert haben Sie aber noch nicht recht begriffen«, erklärte ihm Fürst Korasoff. »Tun Sie immer das Gegenteil von dem, was man von Ihnen erwartet! Ich gebe Ihnen mein Wort: Damit kommen Sie heutzutage am weitesten. Seien Sie weder überspannt noch unnatürlich! Sonst erwartet man von Ihnen Narrheiten oder Zierereien, und dann ist das ganze Rezept hinfällig.«
    Julian bedeckte sich eines Tages mit Ruhm im Salon des Herzogs von Fitze-Folke, der ihn zusammen mit dem Fürsten Korasoff zum Diner eingeladen hatte. Man mußte eine Stunde lang warten. Die Art, wie sich Julian inmitten von zwanzig Geduldigen benahm, bildete noch lange das Gespräch der jungen Diplomaten Londons. Seine

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