Rot und Schwarz
Frau von Rênal zu erfahren. Der Baron erinnerte sich offenbar ihrer alten Rivalität und hüllte sich in undurchdringliches Schweigen. Schließlich bat er Julian um die Stimme seines Vaters bei den in Aussicht stehenden Wahlen. Julian versprach zu schreiben.
»Sie sollten mich dem Herrn Marquis von La Mole vorstellen, Herr Ritter!«
»Wirklich, das sollte ich!« dachte Julian. »Aber solch einen Schurken?«
»Offen gestanden«, antwortete er, »ich stelle im Hause La Mole zu wenig vor, um jemanden einführen zu können.«
Julian pflegte dem Marquis alles zu sagen. Am Abend erzählte er ihm von Valenods Wunsch und seinem Tun und Treiben seit 1814.
Mit sehr ernster Miene sagte der Marquis: »Sie werden mir den neuen Baron nicht nur morgen vorstellen, sondern ich werde ihn auch zu übermorgen zum Diner einladen. Er ist einer unsrer künftigen Landräte...«
»In diesem Falle«, erwiderte Julian kalt, »bitte ich für meinen Vater um die Stelle des Armenamts Vorstands.«
»Sehr gut!« sagte der Marquis belustigt. »Bewilligt. Ich war auf Moralitäten gefaßt. Sie machen sich.«
Valenod erzählte unter anderem, daß der Lotterieeinnehmer von Verrières kürzlich gestorben war. Julian machte sich den Spaß, die Stelle Herrn Cholin zu verschaffen, jenem alten Schwachkopf, dessen Bittschrift er damals im Zimmer des Herrn von La Mole gefunden hatte. Während er das Empfehlungsschreiben an den Finanzminister zur Unterzeichnung vorlegte, sagte er die Bittschrift aus dem Gedächtnisse her. Der Marquis mußte darüber recht herzlich lachen.
Kaum war Cholin ernannt, da erfuhr Julian, daß der Kreisausschluß den Antrag gestellt hatte, die Lotterieeinnahme dem verdienstvollen Landvermesser Gros zu geben. Der hochherzige Mann hatte nur 1400 Franken zu verzehren, wovon er auch Arme unterstützte.
Betroffen sah Julian, was er angerichtet hatte. »Das ist gar nichts!« rief er aus. »Ich werde noch ganz andre Ungerechtigkeiten begehen müssen, wenn ich es zu etwas gebracht habe, und obendrein genötigt sein, sie hinter gefühlvoller Schönrederei zu verbergen. Armer Gros! Du hast den Orden verdient, und ich habe ihn bekommen! Und ich muß im Sinne der Regierung handeln, die ihn mir verliehen hat!«
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Achtes Kapitel
Welcher Orden
ist eine Auszeichnung?
Dein Wasser erquickt mich nicht, sagte der durstige Genius. Und doch ist dies des kühlste Brunnen in ganz Diar-Bekir.
Pellico
E ines Tages kam Julian von dem reizenden Gute Villequier am Ufer der Seine zurück, für das Herr von La Mole allezeit besondere Vorliebe hegte, weil es von allen seinen Besitzungen die einzige war, die dem berühmten Bonifaz von La Mole gehört hatte. Er fand die Marquise und ihre Tochter zu Hause. Sie waren eben aus Hyères zurückgekehrt.
Julian war jetzt Dandy und verstand sich auf die Kunst, in Paris zu leben. Er war gegen Fräulein von La Mole von vollkommener Kühle und schien nicht die geringste Erinnerung an die Zeit bewahrt zu haben, wo sie sich so fröhlich nach den Einzelheiten seines Herunterfalls vom Pferde erkundigte.
Fräulein von La Mole fand ihn größer und blasser geworden. Seine Haltung und sein Benehmen hatten nichts Kleinstädtisches mehr. Anders seine Unterhaltung. Es war noch zu viel Ernst, zu viel Positivismus darin. Trotz dieser schulmeisterlichen Eigenschaften lag nichts Unterwürfiges in seinem Gespräche. Dazu war er zu stolz. Man fühlte nur, daß er noch zu vielerlei als wichtig betrachtete. Aber man sah, daß er ein Mann war, der für seine Meinung einstand.
»Es fehlt ihm an Leichtigkeit, nicht an Geist«, sagte Fräulein von La Mole zu ihrem Vater, als sie mit ihm über den Orden scherzte, den er Julian verschafft hatte. »Mein Bruder hat dich anderthalb Jahre darum bitten müssen: und er ist ein La Mole.«
»Ja, aber Julian hat unerwartete Einfalle. Die hat der La Mole, von dem du sprichst, nicht.«
Der Herzog von Retz wurde gemeldet.
Mathilde fühlte sich von unüberwindlichem Gähnenmüssen befallen, als sie die alten Vergoldungen und die alten Stammgäste des väterlichen Salons wiedersah. Sie machte sich ein trostlos langweiliges Bild von dem Leben, das ihrer in Paris von neuem harrte.
»Und dabei bin ich neunzehn Jahre!« dachte sie. »Das ist das Alter des Glücks, singen alle die Idioten in Goldschnitt!« Sie blätterte in den acht bis zehn neuen Gedichtbänden, die sich während ihrer Reise nach der Provence auf dem Spiegeltische des Salons angesammelt hatten. Es war ihr Unglück, mehr Geist zu
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