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Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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anstößig erschien. Wenn sie weniger in Mode gewesen wäre, so hätte man sich wohl eingestanden, daß ihre Sprechweise unweiblich, unzart, etwas zu drastisch sei. Mathilde ihrerseits ließ den hübschen Kavalieren, die das
Bois de Boulogne
bevölkern, sehr wenig Gerechtigkeit widerfahren. Sie sah der Zukunft nicht gerade mit Grauen entgegen – das wäre ein zu lebhaftes Gefühl gewesen –, wohl aber mit einem für ihr Alter recht ungewöhnlichen Widerwillen. Was sollte sie sich wünschen? Vermögen, hohe Geburt, Witz, Schönheit (die vielgerühmte, an die sie selber glaubte!), alles hatte ihr der Zufall mit vollen Händen gespendet.
    So stand es um das Innenleben der am meisten beneideten Erbin im Faubourg Saint-Germain, als sie an den Spaziergängen mit Julian Geschmack zu finden begann. Sie war erstaunt über seinen Stolz und bewunderte die geistige Gewandtheit dieses Kleinbürgers. »Er wird es bis zum Bischof bringen!« sagte sie sich.
    Der aufrichtige, keineswegs gespielte Widerstand, den Julian mancher Idee Mathildens entgegensetzte, gab ihr zu denken. Sie sann darüber nach. Sie erzählte ihrer Freundin die geringsten Einzelheiten ihrer Gespräche, und dabei fand sie, daß sich gerade das Eigentümliche daran gar nicht wiedergeben ließ.
    Ein Gedanke durchleuchtete sie plötzlich. »Ich habe das Glück, zu lieben«, sagte sie sich eines Tages in einem Ausbruch ungeheurer Freude. »Ich liebe! Ich liebe! Das ist klar! Worin könnte ein junges, schönes, kluges Mädchen in meinem Alter innere Erlebnisse finden, wenn nicht in der Liebe? Ich mag tun, was ich will: für Croisenois, Caylus und
tutti quanti
werde ich niemals Liebe empfinden. Sie sind tadellos, zu tadellos vielleicht. Mit einem Worte: Sie langweilen mich.«
    Sie ging in ihrem Kopfe alle Schilderungen der Leidenschaft durch, die sie in der » Manon Lescaut 38 «, in der » Neuen Heloise « in den » Briefen einer portugiesischen Nonne 39 « usw. gelesen hatte, wohlverstanden der großen Leidenschaft. Die Liebelei war einer jungen Dame ihres Alters und ihrer Geburt unwürdig. Den Namen Liebe gönnte sie allein jenem heroischen Gefühl, dem man in Frankreich zur Zeit Heinrichs III. und des Marschalls von Bassompierre begegnete. Diese Liebe wich nicht feig vor Hindernissen zurück, im Gegenteil, führte zu großen Taten. »Welch ein Unglück für mich«, dachte sie, »daß es heute keinen wirklichen Hof gibt wie den der Katharina von Medici oder Ludwigs XIII.! Ich fühle mich den größten und kühnsten Dingen der Welt gewachsen. Zu was könnte ich einen Fürsten und Helden begeistern, der zu meinen Füßen schmachtete, einen Mann vom Schlage Ludwigs XIII. Ich würde ihn in die Vendée führen, und von da sollte er sein Königreich wiedererobern. Dann gäbe es keine Verfassung mehr... Und Julian sollte mir zur Seite stehen! Was fehlt ihm? Name und Geld. Er würde sich einen Namen machen und Reichtum erwerben.
    Dem Croisenois fehlt nichts, aber er wird sein Lebtag nichts weiter sein als ein halb liberaler, halb royalistischer Herzog, ein farbloser Mensch, jedwedem Extrem stets fern. Folglich wird er immer und überall die zweite Rolle spielen.
    Welch große Tat ist im Augenblick, wo man sie unternimmt, nicht ein Extrem, eine Utopie? Erst wenn sie vollführt ist, erscheint sie dem Durchschnittsmenschen überhaupt möglich. Ach, in meinem Herzen soll die Liebe nur mit allen ihren Wundern herrschen. Das fühle ich an dem Feuer, das in mir glüht. Der Himmel war mir diese Gnade schuldig. Dann hat er ein Sonderwesen nicht umsonst mit allen Vorzügen geschmückt. Mein Glück wird meiner würdig sein. Meine Tage werden nicht kalt und nüchtern einer dem andern gleichen. Schon darin liegt Größe und Kühnheit, daß ich einen Mann zu lieben wage, der durch seine gesellschaftliche Stellung so fern von mir steht. Es kommt nun darauf an, ob er auch künftig meiner wert ist. Bei der ersten Schwäche, die ich an ihm entdecke, wende ich mich von ihm. Eine junge Dame von meiner Herkunft und so ritterlichem Charakter, wie er tief in mir steckt... (das war ein Ausspruch ihres Vaters), die darf sich nicht wie eine Törin benehmen.
    Und würde ich nicht die Rolle einer Törin spielen, wenn ich den Marquis von Croisenois liebte? Das wäre nichts weiter als ein Abklatsch des Glückes meiner Cousinen, das ich so gründlich verachte. Alles, was mir der gute Marquis sagen könnte, alles, was ich ihm zu antworten hätte, alles das weiß ich im voraus. Was ist das für eine

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