Rot und Schwarz
besser, ich tue es gleich? Jetzt wahre ich meinen berechtigten Stolz ihr gegenüber, während ich mich später gegen ihre Verachtung zu wehren habe, die sich sofort zeigen wird, sobald ich im geringsten auf das verzichte, was ich meiner persönlichen Würde schulde.«
Mehrmals versuchte Mathilde an Tagen, wo sie schlecht gelaunt war, vor ihm den Ton der Grande-dame anzuschlagen. Sie machte diese Versuche auf die findigste Weise, aber Julian ließ sie brüsk von sich abgleiten.
Eines Tages unterbrach er sie heftig: »Hat das gnädige Fräulein irgendwelchen Auftrag für den Sekretär Ihres Herrn Vaters?« fragte er sie. »Er muß ihre Befehle anhören und sie ganz gehorsamst ausführen. Im übrigen aber hat er kein Wort an sie zu richten. Er wird nicht bezahlt, um ihr seine Gedanken mitzuteilen.«
Die merkwürdigen kleinen Zwischenfälle und die sonderbaren Zweifel, die Julian beschlichen, hielten die Langeweile von ihm fern, die er ehedem in diesem prunkvollen Saale regelmäßig empfunden hatte, weil man sich dort vor allem und jedem fürchtete und weil es daselbst nicht schicklich war, über irgend etwas zu scherzen.
»Es wäre spaßhaft, wenn sie mich liebte! Aber mag sie mich lieben oder nicht«, setzte Julian hinzu, »ich habe zur Vertrauten eine geistreiche junge Dame, vor der ich das ganze Haus zittern sehe und allen andern voran den Marquis von Croisenois, einen so höflichen, milden, wackeren jungen Mann. Er besitzt sämtliche Vorteile der Geburt und des Reichtums, von denen ein einziger mein Herz hoch erfreuen würde. Er ist wahnsinnig verliebt in Mathilde. Er soll sie heiraten. Wieviel Briefe hat mich Herr von La Mole nicht an die Notare schreiben lassen, um den Ehevertrag zustande zu bringen! Und ich inferiorer Federfuchser, ich triumphiere zwei Stunden später hier im Garten über diesen liebenswürdigen jungen Herrn? Denn alles in allem sind ihre Gunstbeweise auffällig und unleugbar. Vielleicht haßt sie Croisenois als ihren künftigen Gatten. Hochmütig genug ist sie dazu. Und die Aufmerksamkeiten, die sie mir erweist, empfange ich als vertrauter Untergebener!
Aber nein! Entweder bin ich ein Narr oder sie macht mir den Hof. Je kälter und ehrerbietiger ich mich gegen sie zeige, um so mehr bemüht sie sich um mich. Es könnte ja Spiel sein? Aber ich sehe ihre Augen aufleuchten, wenn ich unerwartet erscheine. Sind die Pariserinnen so ausgezeichnete Komödiantinnen? Doch was liegt daran? Mich umgaukelt eine Illusion. Genießen wir sie! Mein Gott, wie schön ist Mathilde! Wie gefallen mir ihre großen blauen Augen, wenn ich sie dicht vor mir schaue, und sie auf mir ruhen, wie sie dies oft tun! Was für ein Unterschied zwischen diesem Frühling und dem des vergangenen Jahres, als ich unter dreihundert boshaften und schmutzigen Heuchlern lebte und mich in meinem Unglück nur durch Charakterstärke aufrechterhielt. Ich war beinahe ebenso boshaft wie diese Gesellen.«
In den Tagen des Mißtrauens dachte Julian: »Dies junge Mädchen macht sich über mich lustig. Sie ist mit ihrem Bruder im Bunde, mich zum besten zu haben. Und doch scheint sie Norberts Mangel an Energie arg zu verachten. Er ist ein anständiger Kerl; das ist aber auch alles! hat sie mir einmal gesagt. Er habe nicht einen von der Mode unabhängigen Gedanken. Ich bin dann immer gezwungen, ihn zu verteidigen. Sie ist ein junges Mädchen von neunzehn Jahren. Kann man in diesem Alter jeden Augenblick eine bestimmte Rolle erheucheln?
»Andrerseits, wenn Fräulein von La Mole ihre großen blauen Augen mit einem gewissen eigentümlichen Ausdruck auf mich richtet, geht Graf Norbert immer weg. Das macht mich argwöhnisch. Müßte er nicht entrüstet sein, daß seine Schwester einen Domestiken des Hauses auszeichnet? So habe ich nämlich den Herzog von Chaulnes von mir sprechen hören.« Bei dieser Erinnerung verdrängte der Zorn jedes andre Gefühl. »Ist das Vorliebe für altertümliche Ausdrücke bei diesem idiotischen Herzog?«
»Jawohl, sie ist hübsch«, fuhr Julian mit Tigerblicken fort. »Ich werde sie besitzen. Dann mache ich mich aus dem Staube, und wehe dem, der mich in meiner Flucht aufhalten will.«
Dieser Gedanke ward allmählich zur fixen Idee in ihm. Er vermochte an nichts weiter zu denken. Die Tage vergingen ihm wie Stunden. Jeden Augenblick, wenn er sich mit etwas Ernsthaftem zu beschäftigen suchte, irrten seine Gedanken ab. Nach einer Viertelstunde kam er wieder zu sich, mit klopfendem Herzen, wirrem Kopf, brütend über dem
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