Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rot und Schwarz

Titel: Rot und Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
Vom Netzwerk:
hatte er als Nebenbuhler nur den unnoblen Landrat Charcot, der sich »von Maugiron« nannte, dieweil die Maugirons ausgestorben sind.
    Um fünf Uhr erhielt Julian einen dritten Brief. Er flog ihm durch die Tür der Bibliothek zu.
    »Immer wieder reißt sie aus. Die wahre Schreibwut!« lachte er. »Wie unsinnig, wenn man sich so bequem sprechen kann! Der Feind will unbedingt Briefe von mir haben, und zwar mehrere!«
    Er nahm sich mit dem Lesen Zeit. »Doch wieder nur mondäne Phrasen!« dachte er. Er ward aber blaß, als er las. Es waren nur wenige Zeilen:
    »Ich muß Sie sprechen, und zwar unbedingt heute nacht. Seien Sie im Garten, wenn es ein Uhr schlägt. Nehmen Sie die große Leiter des Gärtners, die am Brunnen liegt, legen Sie sie unter meinem Fenster an und kommen Sie zu mir herauf. Es ist Mondenschein, das tut nichts.«

----

Fünfzehntes Kapitel
Ist es ein Komplott?
Ach! Wie unerträglich ist die Zeit zwischen einem großen Vorhaben und seiner Ausführung! Welch eingebildete Schrecknisse! Welche Unentschlossenheit! Es geht ums Leben. - Es geht um viel mehr: um die Ehre!
    Schiller
    » D ie Sache wird ernst!« sagte sich Julian und wurde nachdenklich. »Aber ich falle nicht darauf hinein. Das holde Fräulein kann mich in voller Freiheit in der Bibliothek sprechen. Der Marquis kommt nie dahin, aus Angst, ich könne ihm Geschäftsbücher vorlegen. Er und Graf Norbert, die einzigen Menschen, die diesen Raum überhaupt betreten, sind fast den ganzen Tag außer dem Hause. Man kann leicht aufpassen, wann sie heimkehren. Und da verlangt die erhabene Mathilde, der ein regierender Fürst noch zuwenig wäre, ich solle die tollste Unvorsichtigkeit begehen!
    Es ist klar, man will mich zum Narren halten oder ins Verderben stürzen. Erst sollten mich meine Briefe zugrunde richten. Ich war zu vorsichtig. Jetzt suchen sie mich zu einer Tat zu verleiten, die niemand mißdeuten kann. Aber diese lieben Leutchen halten mich doch für gar zu dumm oder gar zu eitel. Teufel noch einmal! Bei hellichtem Mondschein auf einer Leiter sieben Meter hoch in den ersten Stock hinaufklettern, damit mich alle Welt, sogar in den Nachbarhäusern, sieht! Das wird ein Schauspiel ohnegleichen!«
    Er ging auf sein Zimmer und packte, dabei pfeifend, seinen Koffer. Er war entschlossen abzureisen, ohne überhaupt zu antworten.
    Aber dieser weise Entschluß brachte seinem Herzen keinen Frieden. Als sein Koffer zugemacht war, sagte er sich plötzlich: »Wenn Mathilde nun aber kein falsches Spiel treibt, dann bin ich in ihren Augen ein kompletter Feigling! Ich bin kein Aristokrat von Geburt; somit muß ich große Eigenschaften besitzen, und zwar ordentlich und ehrlich, nicht bloß auf einem geschmeichelten Bilde. Und ich muß sie durch eine drastische Tat beweisen ...«
    So grübelte er eine Viertelstunde lang. »Warum soll ich mir etwas vorlügen?« sagte er sich endlich. »Ich werde in ihren Augen ein Feigling sein. Damit verliere ich nicht nur den Stern der ersten Gesellschaft – wie man sie neulich auf dem Ballfeste des Herzogs von Retz genannt hat –, sondern auch die Götterfreude, mich dem Marquis von Croisenois vorgezogen zu sehen, dem Sohne eines Herzogs und selber künftigem Herzog, übrigens ist er ein reizender junger Herr, der so manche Eigenschaft besitzt, die mir abgeht, wie hohe Geburt, großes Vermögen, unbedingte gesellschaftliche Gewandtheit. Mein Leben lang wird die Reue an mir nagen, nicht Mathildens wegen ... Es gibt ja Weiber die schwere Menge! Aber es gibt nur eine Ehre! Unleugbar, ich verzage vor der ersten wirklichen Gefahr, die mir in meinem Dasein entgegentritt! Denn das Duell mit Beauvaisis ist nicht der Rede wert. Hier drohen ganz andre Gefahren. Ich kann von einem Diener niedergeknallt werden. Aber selbst das ist nicht das schlimmste. Ich kann meiner Ehre verlustig gehen!«
    Er hörte nicht auf nachzudenken, während er nervös im Zimmer auf und ab schritt und von Zeit zu Zeit haltmachte. Es stand da eine prächtige Marmorbüste Richelieus. Unwillkürlich blieb Julians Blick auf ihr haften. Es war ihm, als sähe ihn der Kardinal streng an, als würfe er ihm Mangel an Mut vor, das heißt Mangel an dem, was jedem Franzosen angeboren sein soll.
    »Zu deiner Zeit hätte ich kaum gezögert, großer Mann!« rief ihm Julian zu.
    Endlich sagte er sich: »Nehmen wir einmal das Schlimmste an: ich stünde hier tatsächlich vor einer Falle, so würde Fräulein von La Mole auf das unerhörteste bloßgestellt. Niemand leistet

Weitere Kostenlose Bücher