Rot und Schwarz
Zimmer tiefschwarz aussahen. »Es kann da sehr wohl jemand versteckt sein, ohne daß ich es sehe!« dachte er.
»Was haben Sie da in Ihrer Rocktasche?« fragte Mathilde, froh, einen Gesprächsstoff gefunden zu haben. Es war ihr sonderbar bang zumute. Die in einem jungen Mädchen aus guter Familie starken Gefühle der Zurückhaltung und Zaghaftigkeit hatten sie wieder gepackt und bereiteten ihr Qual und Pein.
»Ich habe einen Dolch und ein paar Pistolen mitgebracht«, erwiderte Julian, nicht minder zufrieden, etwas sagen zu können.
»Die Leiter muß weg!« erklärte Mathilde.
»Sie ist riesig groß. Daß sie nur nicht die Fenster unten im Salon oder im Zwischenstock einschlägt!«
»Das läßt sich verhindern«, meinte Mathilde, die sich vergeblich Mühe gab, den gewöhnlichen Plauderton zu treffen. »Sie lassen die Leiter am besten hinunter, wenn Sie um die oberste Sprosse einen langen Strick legen. Ich habe immer derlei da.«
»Das will ein verliebtes Weib sein!« dachte Julian. »Sie wagt von Liebe zu reden, während mir ihre Kaltblütigkeit und ihre klugen Vorsichtsmaßregeln deutlich beweisen, daß ich über Croisenois nicht so triumphiere, wie ich Narr mir einbildete! Ich werde ganz einfach sein Nachfolger sein. Aber schließlich, was ficht mich das an? Liebe ich sie denn? Ich schlage den Marquis in einer Weise aus dem Felde, daß er sich wütend ärgern wird, von einem andern verdrängt und gerade von mir verdrängt worden zu sein. Wie hochmütig hat er mich gestern im Café Tortoni angeschaut, sich stellend, als erkenne er mich nicht. Und wie boshaft hat er mich schließlich gegrüßt, als er sich dazu genötigt sah!«
Julian hatte den Strick um die oberste Sprosse gewickelt und ließ die Leiter behutsam zur Erde nieder. Er lehnte sich dabei weit über das Fenstergeländer hinaus. »Wenn in Mathildens Zimmer jemand verborgen wäre, so hätte er jetzt die schönste Gelegenheit, mich hinunterzustürzen!« Aber alles ringsum verharrte im tiefsten Schweigen.
Die Leiter kam zur Erde nieder, und Julian gelang es, sie in ein Beet mit fremdländischen Blumen zu legen, das sich an der Mauer hinzog.
»Meine Mutter wird außer sich sein, wenn sie sieht, daß ihre schönen Blumen niedergetreten sind«, sagte Mathilde, und kaltblütig fügte sie hinzu: »Werfen Sie den Strick nach! Wenn man ihn vom Fenstergeländer herabhängen sieht, wäre das ein rätselhaft Ding!«
»Wie soll ich dann aber wieder hinunterkommen?« fragte Julian in scherzendem Tone, indem er die Sprechweise eines der Dienstmädchen des Hauses nachäffte, einer Kreolin aus Sankt Domingo.
»Durch die Türe!« entgegnete sie belustigt. Insgeheim dachte sie: »Dieser Mann ist meiner ganzen Liebe würdig!«
Julian warf den Strick hinab in den Garten. Da faßte ihn Mathilde am Arm. Er wähnte, es packe ihn ein Feind. Er wandte sich jäh und griff nach seinem Dolche. Mathilde hatte das Geräusch eines sich öffnenden Fensters zu hören vermeint. Unbeweglich, ohne zu atmen, horchten sie beide. Der Mondenschein lag voll auf ihnen. Alles blieb still. Die Besorgnis verflog.
Von neuem verfielen beide in Verlegenheit. Julian vergewisserte sich, daß die Tür ordentlich verriegelt war. Am liebsten hätte er unter das Bett gesehen. Er wagte es nicht. Ob da nicht ein paar Lakaien darunter steckten? Schließlich aber sah er aus Furcht, er könne sich später Selbstvorwürfe hierüber machen, doch nach.
Mathilde war die Beute der größten Zaghaftigkeit. Die Lage, in die sie sich gebracht, war ihr gräßlich.
»Was haben Sie mit meinen Briefen gemacht?« fragte sie, um irgend etwas zu sagen.
»Ich habe sie mit der Post weit weg geschickt...«
Er sagte dies so laut, daß die Personen, die etwa in den beiden großen Mahagonischränken versteckt waren, es hätten hören müssen. Er wagte nicht, auch darin nachzusehen.
»Du mein Gott, wozu alle diese Vorsichtsmaßnahmen?« fragte Mathilde erschrocken.
»Warum soll ich lügen?« dachte er und gestand seinen Verdacht.
»Daher bist du in deinen Briefen so kalt?« rief sie laut aus, mehr im Tone toller Überschwenglichkeit denn zärtlicher Liebe. Der kaum merkliche Unterschied entging Julian. Das Du raubte ihm allen Verstand. Zum mindesten erlosch sein Verdacht. Jetzt wagte er, seinen Respekt zu überwinden und das schöne Mädchen in seine Arme zu schließen. Er fand kaum Widerstand.
Wie damals in Besançon bei Amanda mußte ihm sein Gedächtnis aus der Verlegenheit helfen. Er sagte etliche der schönsten
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