Rot und Schwarz
Gewähr, daß ich meinen Mund halte. Folglich müßte man mich umbringen. Derlei ließ sich Anno 1574, zur Zeit des Bonifaz von La Mole, bequem machen. Heutzutage wagt das niemand. Auch keiner derer von La Mole. Die Menschen sind nicht mehr die von damals. Mathilde hat tausend Neiderinnen und Feinde. Morgen schon verkünden vierhundert Salons ihre Schande – und mit Wonne! Die Dienerschaft klatscht sowieso schon über die mir offenkundig zuteil gewordenen Beweise ihrer Gunst. Ich weiß das. Ich habe es hören müssen...
Ich hätte es mit zwei, drei, vier Männern zu tun. Was weiß ich? Aber wo bekommen sie diese Männer her? Wo gibt es in Paris todzuverlässige Untergebene? Man hat Angst vor der Justiz ... Schließlich handeln sie in Person: Caylus, Croisenois und Luz! Sie wollen sich den Spaß nicht entgehen lassen, mein dummes Gesicht zu sehen, wenn sie mich überrumpeln ... Achtung vor dem Schicksal Abálards, Herr Sekretär! Beim Teufel, ich werde euch heimleuchten! Ich steche ins Gesicht wie Cäsars Soldaten bei Pharsalos!
Und dann habe ich doch Mathildens Briefe! Ich kann sie an einen sicheren Ort bringen –«
Julian siegelte sie ein und adressierte sie an seinen Freund Fouqué. Dann trug er die Sendung selbst zur Post.
Als er zurückkam, war er überrascht und erschrocken. »Das ist ja alles Wahnsinn!« sagte er sich. Er hatte eine Viertelstunde nicht an die kommende Nacht gedacht. »Wenn ich mich um die Sache drücke, werde ich nie wieder Respekt vor mir selber haben! Mein Leben lang werde ich im Zweifel sein, ob ich dieser Tat gewachsen war – Und wie ich mich kenne, wäre solch ein Zweifel mein gräßlichstes Unglück.
Habe ich das nicht in Besançon erfahren, nach dem Vorfall mit Amandas Liebhaber? Ich bin überzeugt, eher würde ich mir ein regelrechtes Verbrechen verzeihen. Wenn ich es mir einmal vorgehalten hätte, dächte ich nie wieder daran. Ich habe einen Rivalen mit einem der glänzendsten Namen Frankreichs, und ich räume ihm von selber das Feld? Ich gestehe ihm leichten Herzens meine Inferiorität ein? Nein, es wäre Feigheit, wenn ich nicht hinginge! Dieses Wort entscheidet alles!
Er sprang auf. »Und dann, wie hübsch ist Mathilde! Wenn es kein Verrat ist, dann begeht sie für mich eine Tollheit. Ist es aber eine Mystifikation, bei Gott, meine Herren, dann steht es bei mir, aus Scherz Ernst zu machen. Dafür werde ich sorgen!«
Er prüfte seine beiden Taschenpistolen und setzte neue Zündhütchen auf, obwohl die alten noch brauchbar waren.
Er hatte noch viele Stunden vor sich. Um sich zu beschäftigen, schrieb Julian folgendes an Fouqué:
»Lieber Freund!
öffne die Anlage zu diesem Briefe nur im Notfalle, wenn Du erfährst, daß mir etwas Ungewöhnliches zugestoßen ist! Sodann streiche die Eigennamen im beiliegenden Manuskript aus und fertige acht Abschriften davon an, die Du an die Zeitungen von Marseille, Bordeaux, Lyon, Brüssel usw. versendest. Zehn Tage später läßt Du das Manuskript drucken und schickst das erste Exemplar an Herrn Marquis von La Mole. Nach weiteren vierzehn Tagen streust Du die übrigen Exemplare nachts in den Straßen von Verrières aus.«
Diese in die Form einer Erzählung gekleidete Rechtfertigungsschrift, die Fouqué nur im Notfalle öffnen sollte, war von Julian so abgefaßt, daß seine Lage unter möglichster Schonung des Fräuleins von La Mole anschaulich geschildert war.
Julian hatte das Paket gerade fertig, als es zu Tisch läutete. Julian bekam Herzklopfen.
Von neuem erfüllten ihn tragische Ahnungen. Schon sah er sich von Lakaien ergriffen, gefesselt und mit einem Knebel im Munde in den Keller geschleppt. Dort wurde er von einem Diener bewacht. Man brachte ihm Gift bei, das keine äußeren Merkmale verursachte, schleppte seine Leiche zurück in sein Zimmer und sprengte aus, er sei an einer Krankheit gestorben.
Von dieser Phantasterei durchdrungen wie ein Dichter von seinem Werk, betrat er das Eßzimmer, geradezu voll Grausen. Er sah den Dienern, die in großer Livree dastanden, genau in die Gesichter und studierte ihre Physiognomien. »Wer unter euch ist zu der nächtlichen Tat ausersehen?« dachte er bei sich. Sodann schaute er Fräulein von La Mole an, um ihr die Anschläge ihrer Familie aus den Augen zu lesen. Sie sah bleich aus und hatte den Ausdruck einer Dame aus dem Quattrocento. Noch nie war sie ihm so groß, so wahrhaft schön und erhaben vorgekommen. Er war fast verliebt in sie. »
Pallida morte futura!
« sagte er
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